9-Euro-Ticket vor dem Ende: Wie geht es jetzt weiter?
52 Millionen Mal wurde das 9-Euro-Ticket verkauft. Was hat es gebracht? Und welche Zukunft hat das Ticket ab September? Die wichtigsten Antworten.Entlastung der Verbraucher, Beitrag zur Verkehrswende, Image-Booster für Busse und Bahnen: Die Erwartungen an das 9-Euro-Ticket im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) waren riesig. 52 Millionen Mal wurde es über die gesamten drei Monate bundesweit verkauft, teilte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) am Montag mit. Zudem seien aufgrund vermiedener Autofahrten rund 1,8 Millionen Tonnen CO2 eingespart worden.Die Aktion läuft am Mittwoch aus – doch die Deutschen haben das 9-Euro-Ticket liebgewonnen: Laut einer Umfrage des Instituts Kantar im Auftrag von "Focus" wünschen sich 79 Prozent der Befragten einen Nachfolger.Zeit für eine Bilanz: Hat das Ticket die hohen Erwartungen erfüllt? Wie wahrscheinlich ist ein Nachfolgemodell? t-online gibt einen Überblick.Was hat das Ticket an Entlastung gebracht?Das 9-Euro-Ticket wurde von der Bundesregierung als Teil des Energieentlastungspakets für die Bundesbürger auf den Weg gebracht und soll die gestiegenen Energie- und Spritpreise kompensieren. Schon Anfang Juli feierte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Aktion gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung" als "fulminanten Erfolg". Auch der VDV zeigte sich am Montag zufrieden mit der Bilanz: "Das Ticket war sehr erfolgreich und es lohnt, sich über die Fortsetzung Gedanken zu machen". Tatsächlich haben sich die Kosten für den ÖPNV deutlich verringert; auch diejenigen, die bereits eine Jahreskarte besessen haben, konnten durch Erstattungen oder Verlängerungen der Gültigkeit von ihrer bestehenden Karte profitieren. Viele nutzten das 9-Euro-Ticket auch, um günstig in den Urlaub zu fahren.Einfluss auf InflationDie geringen Mobilitätskosten wirkten sich zudem dämpfend auf die Inflation aus. Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) berechneten, dass der harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) ohne staatliches Eingreifen noch zwei Prozentpunkte über dem tatsächlich festgestellten Niveau gelegen hätte. "Vor allem Entlastungen wie das 9-Euro-Ticket dürften dabei ausschlaggebend sein", erklärten die IW-Forscher. "Der Personenverkehr hat einen großen Anteil am Warenkorb, mit dem die Inflation berechnet wird."Die Wissenschaftler warnten allerdings, dass das 9-Euro-Ticket nach seinem Ende im Herbst für steigende Preise sorgen könnte. "Die Verkehrsbetriebe und die Bahn gehen davon aus, dass der staatliche Ausgleich ihre Kosten nicht abdeckt", heißt es in dem IW-Bericht. "Zusammen mit den steigenden Energiepreisen könnte das dazu führen, dass ab September nicht nur die Ticketpreise deutlich steigen, sondern auch die Inflation."Hat sich das Mobilitätsverhalten der Menschen tatsächlich verändert?Ein wichtiges Ziel des 9-Euro-Tickets war es, den ÖPNV attraktiver zu machen und Bürger dazu zu bewegen, vom Auto auf Bus und Bahn umzusteigen. Dazu gibt es unterschiedliche Erkenntnisse. Der Bahnexperte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW), Christian Böttger, teilte etwa Anfang August mit, dass es nach ersten Erkenntnissen nur "einen leichten Verlagerungseffekt von der Straße auf den öffentlichen Verkehr von bestenfalls zwei bis drei Prozent" gebe.Der VDV sprach am Montag hingegen davon, dass zehn Prozent der Fahrten mit dem 9-Euro-Ticket für Strecken genutzt wurden, die sonst mit dem Auto gefahren worden wären. Insgesamt liege der Anteil der aus anderen Verkehrsmitteln verlagerten Fahrten bei 17 Prozent. Das Statistische Bundesamt ermittelte in einer Sondererhebung zum 9-Euro-Ticket, dass die Züge deutlich voller waren. Im Juli und Juni wurden 42 Prozent mehr Fahrten übernommen als im jeweiligen Vergleichsmonat des Jahres 2019. Vor allem in ländlichen, bei Touristen beliebten Gebieten stiegen die Bahnreisen, durchschnittlich um 80 Prozent. Wie könnte ein Nachfolger für das 9-Euro-Ticket aussehen?Eine Nachfolgeregelung für einen günstigeren Nahverkehr ab September wird schon seit Einführung des 9-Euro-Tickets gefordert. Mittlerweile gibt es Vorschläge von den unterschiedlichsten Seiten. Ein Überblick: 29-Euro-TicketDer Vorschlag der Verbraucherzentralen: 29 Euro pro Monat soll ein leicht buchbares, bundesweit nutzbares Ticket für Busse und Bahnen im Stil des 9-Euro-Tickets kosten. In der Debatte fand der Vorschlag jedoch bisher eher wenig Anklang. Fazit: eher unwahrscheinlich365-Euro-TicketDie Linken forderten bereits im Juni, das 9-Euro-Ticket bis mindestens Ende des Jahres zu verlängern. Danach soll ein Jahresticket für 365 Euro folgen – ein Euro pro Tag soll die Nutzung des ÖPNV demnach kosten.Über ein 365-Euro-Ticket wird immer wieder diskutiert. Zuletzt hatten sich sogar der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und sein Verkehrsminister Christian Bernreiter (beide CSU) dafür ausgesprochen, obwohl aus Bayern zuvor eher Bedenken ob der Finanzierung laut geworden waren.Fazit: derzeit eher unwahrscheinlich49-Euro-TicketDie Grünen schlagen ein Modell vor, nach dem ein bundesweit gültiges Ticket 49 Euro und ein Regionalticket für Pendler 29 Euro pro Monat kosten solle. Letzteres soll mindestens für das jeweilige Bundesland, aber auch für Ballungsregionen wie Berlin-Brandenburg oder Bremen-Hamburg-Niedersachsen gelten.Das geht aus einem Konzeptpapier von Parteichefin Ricarda Lang, Fraktionschefin Katharina Dröge und dem nordrhein-westfälischen Verkehrsminister Oliver Krischer hervor. Ähnlich wie beim 9-Euro-Ticket soll der Nah- und Regionalverkehr genutzt werden können.Auch die Bundes-SPD ist mittlerweile auf das 49-Ticket umgeschwenkt: In einem Positionspapier forderten mehrere Bundestagsabgeordnete am Montag ein "bundesweit gültiges ÖPNV-Ticket mit einem monatlichen Preis von 49 Euro, das von Bund und Ländern jeweils zu 50 Prozent getragen wird."Fazit: gleich zwei Initiativen aus der Ampelkoalition, die auf denselben Endpreis abzielen – die derzeit wahrscheinlichste Option69-Euro-TicketVom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) kommt der Vorschlag für ein bundesweit gültiges 69-Euro-Ticket. Dieses soll allerdings parallel zu den bestehenden, lokalen Abo-Modellen eingeführt werden. Erreicht werden sollen vor allem "zahlungswillige Autofahrerinnen und -fahrer", so Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff.Da reguläre Monatskarten in vielen Regionen günstiger als 69 Euro sind, wäre das vorgeschlagene Modell jedoch nur für Reisen mit größerer Distanz eine rentable Option. Den Forderungen nach einem günstigeren Nahverkehr wäre mit dem Vorschlag nicht Genüge getan.Fazit: als alleiniger Nachfolger eher unwahrscheinlich75-Euro-TicketDer ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat ein Konzept für sogenannte Länder-PlusTickets entwickelt. Demnach sollen acht bundesländerübergreifende Geltungsbereiche gebildet werden, in denen für 75 Euro im Monat Nah- und Regionalverkehr genutzt werden können. Der Preis orientiere sich dabei am Durchschnittspreis bisheriger Abo-Modelle, so der VCD – rund 850 Euro im Jahr. Bei 75 Euro im Monat käme man auf 900 Euro im Jahr. Für viele Menschen würde sich bei diesem Modell das Monatsticket deutlich verteuern. Auch wenn der VCD auf Sozialtickets und ermäßigte Fahrkarten für 30 Euro hinweist, ist Protest hier absehbar. Fazit: unwahrscheinlichEigene Lösungen der LänderSollte es keine bundesweite Einigung geben, könnten die Länder die Sache selbst in die Hand nehmen. Das niedersächsische Verkehrsministerium brachte Ende Juli ein eigenes Modell für Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Bremen ins Spiel. Konkreter wurde die Idee jedoch nicht. Berlin plant ein temporäres Anschlussticket.Fazit: aufgrund der Bemühungen auf Bundesebene derzeit noch unwahrscheinlichWer soll das bezahlen?Derzeit finanziert hauptsächlich der Bund das 9-Euro-Ticket. Zusätzlich zu regulären Mitteln fließen 2,5 Milliarden Euro aus dem Haushalt, um die ausbleibenden Einnahmen der Verkehrsunternehmen auszugleichen. Bei einem Nachfolger des 9-Euro-Tickets sieht Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nun aber die Länder am Zug. Bei einer dauerhaften Finanzierung über den Staatshaushalt würden jährlich rund 10 Milliarden Euro fehlen, sagte er Anfang Juli der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Er verweist darauf, dass die Gestaltung des ÖPNV grundsätzlich Ländersache ist. Tatsächlich liegt der ÖPNV auf der Schiene bei den Bundesländern, auf der Straße bei den Kommunen. Der Bund bezuschusst die Bereitstellung der Verkehrsmittel.Die Länder hingegen sehen bei weiteren Entlastungen den Bund in der Pflicht – "und zwar ausschließlich" den Bund, sagte der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU). Zuvor hatte die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Maike Schaefer aus Bremen, allerdings erklärt, die Länder seien grundsätzlich bereit, ein Nachfolgeangebot mitzufinanzieren. Der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (beide Grüne) hatte vorgeschlagen: "Für jeden Euro mehr vom Bund für die Finanzierung des Betriebs legen die Länder einen Euro drauf. Aber bisher liegt das Angebot von Herrn Wissing bei null Euro, das ist das Problem."Streit auch in der AmpelUneinigkeit über die Finanzierung herrscht jedoch nicht nur zwischen Bund und Ländern, sondern auch innerhalb der Ampelkoalition. FDP-Finanzminister Christian Lindner blockte bereits ab: Im Bundeshaushalt stünden keinerlei Mittel für einen Nachfolger des 9-Euro-Tickets zur Verfügung, sagte er. Er will im nächsten Jahr unbedingt die Schuldenbremse wieder einhalten.Damit vertritt Lindner bei den Liberalen nicht unbedingt die Mehrheitsmeinung: Mehrere FDP-Bundestagsabgeordnete der Liberalen forderten am Dienstag gegenüber t-online eine Anschlussregelung für das Ticket. "In meinen Augen zeigt alleine schon die enorme Nachfrage, dass das Experiment ein Erfolgsmodell ist", so der Liberale Jens Beeck. Auch der niedersächsische Landesverband der FDP unterstützte den Vorstoß. SPD-Chef Lars Klingbeil zeigte sich offen für eine Beteiligung des Bundes. Er schlug vor, durch eine Übergewinnsteuer für Energieunternehmen neue Einnahmen zu generieren und für ein neues Ticketmodell zu verwenden. Auch die Grünen wollen zur Finanzierung ihres Nachfolge-Vorschlags Mehreinnahmen schaffen und dafür das Dienstwagenprivileg beschneiden. Lindner kritisierte das jedoch heftig: Das Dienstwagenprivileg sei vor allem eine Steuervereinfachung. Die Pläne der Grünen würde nicht zu Mehreinnahmen führen.Was passiert ohne Nachfolgeregelung?Ob das beliebte 9-Euro-Ticket also einen Nachfolger bekommt, ist derzeit unklar. Verkehrsminister Wissing zeigte sich zuletzt offen dafür, das bestehende Modell kurzfristig zu verlängern. Zuvor hatte er gesagt, mit einem Nachfolger könne man frühestens Ende des Jahres oder Anfang 2023 rechnen.Sollte sich die Ampel in der Frage weiter selbst blockieren, drohen angesichts der Energiekrise weitere Preissteigerungen in Bus und Bahn. So warnten die Länder kürzlich: Sollte der Bund nicht mit weiteren Mitteln einspringen, müssten Kunden spätestens im nächsten Jahr mehr Geld für Tickets berappen.