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Wie Diabetes mellitus die Psyche beeinflusst

Menschen mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen. Woran das liegt und welche Maßnahmen helfen, erklärt ein Diabetologe. Wer an Diabetes mellitus erkrankt ist, entwickelt im Laufe des Lebens oftmals weitere gesundheitliche Probleme – auch psychische. Depressionen beispielsweise sind bei erwachsenen Personen mit Diabetes etwa doppelt so verbreitet wie bei Erwachsenen, die nicht von der Stoffwechselerkrankung betroffen sind. Auch Angststörungen kommen bei Menschen mit Diabetes häufiger vor. Im Gespräch mit t-online klärt Professor Bernhard Kulzer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft "Diabetes und Psychologie" der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), über die Zusammenhänge auf und gibt Tipps, wie Diabetiker einer psychischen Erkrankung vorbeugen können. t-online.de: Herr Professor Kulzer, wie kommt es, dass auf die Diagnose Diabetes häufig auch die Diagnose Depression oder Angststörung folgt? Professor Dr. Bernhard Kulzer: Die Diagnose Diabetes mellitus bedeutet für die Betroffenen einen erheblichen Einschnitt in ihr Leben und stellt damit für nicht wenige Menschen mit Diabetes eine enorme Belastung dar. Plötzlich ändert sich der Alltag komplett: Alles muss geplant werden – vom Essen über die Bewegung bis hin zur Medikamenteneinnahme oder der Insulinverabreichung. Auf einmal drehen sich die Gedanken ständig um die Erkrankung, um Zuckerwerte und die Diabetes-Einstellung. Dadurch geht viel Leichtigkeit und Spontaneität verloren. Nicht alle Patienten können sich mit den Einschnitten in ihrem Leben gut arrangieren. Junge Menschen mit Diabetes entwickeln fast gleichhäufig eine Depression oder Angststörung wie ältere – sowohl bei Diabetes Typ 1 als auch bei Diabetes Typ 2. Welche Rolle spielt Überforderung bei Diabetes? Viele Patienten sind mit der Krankheit überfordert. Sie haben das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Oftmals kommen noch Ängste vor einer plötzlichen und potenziell tödlichen Unter- oder Überzuckerung hinzu, ebenso Angst vor Folgeerkrankungen, etwa Gefäß-, Augen- und Nierenschäden, Erkrankungen von Herz und Kreislauf sowie sexuelle Funktionsstörungen. Die Lebenserwartung von Personen mit Diabetes ist geringer als die von Menschen ohne Diabetes. Möglicherweise können Betroffene wegen Unterzuckerungen kein Auto mehr fahren. Oder sie werden wegen Folgeerkrankungen abhängig von der Hilfe anderer. Ängste und Sorgen sowie Gefühle von Überforderung, Unsicherheit und Kontrollverlust schlagen auf die Stimmung und lösen Stress aus. Viele Menschen mit Diabetes haben das Gefühl, dass die Krankheit ihnen die Selbstbestimmung nimmt. Diese emotionale Dauerbelastung kann schließlich zu einer Depression führen und/ oder eine Angststörung verursachen. Das Depressionsrisiko steigt zudem, wenn weitere belastende Probleme hinzukommen, etwa im Beruf oder der Familie. Ist für Diabetes-Patienten eine psychologische Begleitung ratsam? Psychologische Konzepte sind für die Bewältigung und einen guten Umgang mit Diabetes sehr bedeutsam. Für Menschen mit Diabetes, die Schwierigkeiten mit dem Diabetes haben, kann eine psychologische Begleitung den Umgang mit der Erkrankung stärken. Es ist wichtig, dass sich die Betroffenen bewusst machen, dass sie der Krankheit nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern dass sie aktiv mitwirken können und sehr wohl Kontrollmöglichkeiten haben. Ein gut eingestellter Diabetes senkt das Risiko für gefährliche Folgeerkrankungen. Und dazu können die Betroffenen viel beitragen. Bei einer Psychotherapie ist es ideal, wenn der Therapeut Kenntnisse über den Diabetes hat: Psychologen und Psychotherapeuten mit einer entsprechenden Weiterbildung zum "Fachpsychologen Diabetes" oder "Psychodiabetologen". Entsprechende Adressen finden Sie beispielsweise über die Webseite der Arbeitsgemeinschaft "Diabetes und Psychologie" der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und dem Verein Diabetes und Psychologie e. V.. Wann ist psychologische Hilfe angebracht? Eine Psychotherapie ist hilfreich, um einer psychischen Erkrankung vorzubeugen oder eine solche zu behandeln. Betroffene sollten nicht warten, bis sie Symptome einer Depression, Angst- oder Essstörung zeigen, sondern einem solchen Verlauf von Beginn an entgegenwirken. Denn: Psychische Störungen erschweren eine erfolgreiche Diabetes-Therapie stark und es kann sich ein Teufelskreis entwickeln, dass sich diese beide Erkrankungen gegenseitig immer weiter verstärken. Was bedeutet dies konkret in Hinblick auf Depressionen? Menschen mit Diabetes und Depressionen können den Anforderungen einer Diabetesbehandlung weniger gut gerecht werden. Ein schlecht eingestellter Diabetes wiederum erhöht das Risiko für Folgeerkrankungen und Depressionen. Länger andauernde Depressionen erschweren aufgrund der Antriebsschwäche, des Interessensverlusts und negativer Gedanken zum einen die Umsetzung der Therapie, was oft zu erhöhten Blutzuckerwerten führt. Zum anderen darf psychischer Stress, der bei Depressionen andauerend besteht, nicht unterschätzt werden. Fluten anhaltend zu viele Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol den Körper, fördert das Entzündungsreaktionen in den Blutgefäßen und beschleunigt das Auftreten von Folgeerkrankungen. Daher sollten Betroffene nicht zögern, eine psychologische Unterstützung anzustreben, damit nicht aufgrund der Depression die Psyche zu lange leidet und mögliche Folgeerkrankungen das Leben negativ beeinflussen. Kann andersherum eine Depression einen Typ-2-Diabetes begünstigen? Leider ja! Andauernder psychischer Stress, der unter anderem durch Depressionen – aber auch durch andere Ereignisse verursacht werden kann – kann eine Insulinresistenz begünstigen, also die Empfindlichkeit der Körperzellen gegenüber Insulin herabsetzen. Für Menschen mit einer gewissen Anlage für einen Typ-2-Diabetes ist das ein Risikofaktor, der die Entstehung des Typ-2-Diabetes begünstigt. Was ist bei einer medikamentösen Behandlung der Depression bei Diabetes zu beachten? Bestimmte Medikamente zur Behandlung von Depressionen (Antidepressiva) können den Blutzucker erhöhen und zu einer deutlichen Gewichtszunahme führen. Aufgrund dieses Aspekts sollte bei Menschen, die etwa anlagebedingt ein höheres Risiko für Diabetes haben oder bei Personen mit Diabetes und einer Depression, keine trizyklischen Antidepressiva, kurz TZA, verschrieben werden, sondern Antidepressiva aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, kurz SSRI. Wie wichtig sind Diabetes-Schulungen? Schulungen sind meiner Meinung nach unverzichtbar: Hier wird Menschen mit Diabetes unter anderem gezeigt, wie sie die Messgeräte richtig bedienen, Glukosewerte auswerten, mit Medikamenten und Spritzen umgehen und sich im Ernstfall einer Unter- oder Überzuckerung richtig verhalten. Vor allem lernen die Teilnehmer aber, wie sie gut mit der Erkrankung und den damit verbundenen Belastungen, Problemen umgehen können. Dies gibt sowohl Sicherheit als auch das Gefühl von Kontrolle und Selbstbestimmung zurück. Das ist nicht nur im Umgang mit der Krankheit selbst sehr wichtig, sondern auch in Hinblick auf die psychologische Situation. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Kulzer.