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Wasserstraße statt Autobahn: Dieser Verein will die Verkehrswende in Nürnberg

Schrebergärten, Freibäder, Sozialwohnungen und Biergärten am Ufer: So soll es in wenigen Jahren rund um die Kreisstraße zwischen Fürth und Nürnberg aussehen.Eigentlich wollte Theobald Fuchs auf dem Nürnberger Stadtplan von 1895 nur schauen, ob sein Wohnhaus damals schon stand. Als er auf der Karte den alten Ludwig-Donau-Main-Kanal entdeckte, sei es ihm "wie Schuppen von den Augen gefallen": Warum Kohlenhof und Schlachthof an genau diesen Stellen lagen und warum es im Stadtteil Gostenhof Kanalstraßen gibt. Wo heute täglich Fahrzeuge im Stau stehen, gab es von 1845 bis in die 1950er-Jahre einen Kanal mit Obstbäumen entlang der Ufer. "Meine Vorfahren sind mit Schlagrahmdampfer nach Fürth gefahren", erzählt der 53-jährige Nürnberger. Die Schiffe hießen so, weil ein findiger Fürther Gastwirt den Ausflüglern Kaffee mit Schlagrahm servierte. Das ging so, bis der Kanal in den 1950er-Jahren stillgelegt wurde. 1967 begann an gleicher Stelle der Bau des Frankenschnellwegs – einer Autobahn, die sich in ihrem innerstädtischen Abschnitt offiziell Kreisstraße nennt.Der Frankenschnellweg soll einer Wasserstraße weichenDer Verein "Nürnberg-Fürther Stadtkanal", den Fuchs im März 2021 gegründet hat, will diese Stadtautobahn neu denken: Der Frankenschnellweg soll auf seinen knapp zehn Kilometern zwischen Fürth-Poppenreuth und Nürnberg-Hafen einer Wasserstraße weichen. Das sei günstiger als der umstrittene Autobahnausbau, dessen Planungen die Stadt ohnehin bis 2026 wegen Geldmangels gestoppt hat. Und klimafreundlicher: Während sich Beton aufheizt, kühlen Wasserflächen die Umgebung. Werden Flächen entsiegelt, kann der Boden mehr Wasser aufnehmen, das verhindert Überflutungen bei Starkregen.Theobald Fuchs ist promovierter Physiker und arbeitet bei der Fraunhofer-Gesellschaft in Erlangen. Er wohnt in Gostenhof, einem Innenstadtviertel, das zwar hip, aber wenig grün ist. Mittig wird es von der viel befahrenen Fürther Straße durchkreuzt, im Süden vom Frankenschnellweg.Um die Verkehrssituation zu zeigen, hat Fuchs auf den Leiblsteg geladen: Eine zugige Fußgängerbrücke, die die Stadtteile Eberhardshof und Leyh verbindet. Man sieht Wohnhäuser, die an Schallschutzwände grenzen und eine lange Schlange roter Lichter vor der Jansenbrücke. "Da ist immer Stau und wird immer Stau bleiben", brüllt Fuchs gegen den Motorenlärm an. Er glaubt nicht daran, dass ein Ausbau Verbesserungen bringen würde. "Dass mehr Straßen mehr Verkehr bringen, ist eine wissenschaftliche Erkenntnis."Am Kanal sollen Freibäder und Sozialwohnungen gebaut werdenDoch anstatt einfach nur gegen den Ausbau zu sein, stellt der 53-Jährige mit dem Stadtkanal eine gedankliche Alternative in den Raum, die Mut und Zuversicht wecken soll. Es ist ein Gegenvorschlag zur Idee, "mindestens eine dreiviertel Milliarde Steuergelder auszugeben, damit noch mehr Autos durch die Stadt brettern", wie Fuchs sagt. Die Hauptfrage sei doch: Brauchen wir diese Autos? "Nein", meint Fuchs, "wir brauchen eine Verkehrswende."Ginge es nach ihm, würden Brücken für Radfahrer und Fußgänger alle 500 bis 1.000 Meter über den Kanal verbinden, was momentan Motorenlärm, Abgase und meterhohe Betonwände auseinanderschneiden. Wo sich heute die Autos stauen, sollten nach Fuchs' Vorstellungen eines Tages Freibäder, Sozialwohnungen, Wassergrundstücke und Biergärten entstehen.Er fordert, dass sich die Stadtgesellschaft die 40 Hektar Fläche zurückholen solle, die derzeit einzig dem Zweck diene, dass "Blechkisten hin- und herfahren". Es ist nicht ganz abwegig, die ganze Stadtkanal-Sache für Kabarett zu halten, schreibt Fuchs doch auch als Autor für das Satire-Magazin "Titanic". Doch er meint es ernst.83 zahlende Mitglieder hat der Stadtkanalverein schon. Diese hätten dann ein Anrecht auf eine Parzelle am Ufer, sollte der Kanal eines Tages Wirklichkeit werden: Den zehn Meter breiten Kanal sollen die künftigen Pächter selbst graben, in der Vereinssatzung ist vom "Do-it-yourself"-Prinzip die Rede. Der Kanal und die Fläche drumherum sollten städtisches Eigentum bleiben und genossenschaftlich vom Stadtkanalverein verwaltet werden. Fünf Hektar Fläche, die durch den Wegfall von Autobahnzubringern frei würde, sind für den sozialen Wohnungsbau reserviert.Die Idee vom Stadtkanal hat bereits Preise gewonnenDa die Wassergrundstücke rasch enorm begehrt und teuer werden könnten, brauche die Vision diese "harte soziale Komponente", erläutert Fuchs. Denn der Kanal soll kein Projekt für Investoren sein, sondern für die Menschen vor Ort. In einer halben Stunde sollten VAG-Boote von einem Ende des Kanals zum anderen schippern. Und am Ufer soll ein Radschnellweg entlang führen.Anders als mit einer Autobahn, die nur Geld kostet, könnte die Stadt am Kanal verdienen, sagt der 53-Jährige. Neben den Pachteinnahmen für die Wassergrundstücke wären touristische Angebote, Konzerte oder Ausflugsfahrten weitere mögliche Einnahmequellen.Während die Idee vom Stadtkanal in der Region bisher vor allem für verrückt gehalten wird, hat sie im November 2022 den Jurypreis beim "Spiegel Social Design Award" gewonnen und ein Jahr zuvor bereits den Publikumspreis beim "taz-Panter-Preis".Mit dem Preisgeld veranstaltete der Verein im Oktober 2022 einen Kongress. Sämtliche Beiträge sind auf Youtube verfügbar. Eelco Eerenberg, Stadtrat aus Utrecht, berichtete, dass in der niederländischen Großstadt in den 1970er-Jahren ein Kanal aus dem Mittelalter einer Straße weichen musste, die zu Europas modernster Shoppingmall führte. Lange trennte eine zwölfspurige Autobahn die Altstadt vom Hauptbahnhof. "Ein historischer Fehler", sagt Eerenberg.Der Verein will seine Idee im Nürnberger Stadtrat vorantreibenVon Anfang an wollten viele Utrechter ihren Kanal zurück. In einer Bürgerbefragung im Jahr 2002 sprach sich eine Mehrheit für den Autobahnrückbau aus, 2020 wurde dieser fertiggestellt. Heute fahren Kajaks übers Wasser und wo früher Autos parkten, spritzen Fontänen Wasser.Gebaut wurde auch eines der größten Fahrrad-Parkhäuser der Welt mit 12.500 Plätzen. Täglich seien mehr als 120.000 Radfahrer in der Innenstadt unterwegs, sagt Eerenberg. "Wie eine Stadt konzipiert ist, so wird sie auch genutzt", ergänzt er. Sein Rat an die Nürnberger Kanalfans: Einfach machen – auch gegen die Einwände von Autofanatikern. Die Utrechter, die einst dagegen waren, seien heute am stolzesten auf ihren Kanal.Der Kongress habe ihn und seine Mitstreiterinnen ermutigt, meint Fuchs. Doch ist der Stadtkanal wirklich realistisch? Sämtliche Modelle und Berechnungen haben kundige Vereinsmitglieder bisher ehrenamtlich erstellt. Fuchs wünscht sich, dass die Stadt nun Fachleute beauftragt, um die technische Machbarkeit offiziell zu prüfen. Einen entsprechenden Antrag wollen die Politbande und die Grünen demnächst im Nürnberger Stadtrat einreichen.