"Das ist eine sensationelle Nachricht": Ostbeauftragter Schneider feiert Milliarden-Investition
Ostdeutsche dürfen ruhig selbstbewusster auftreten, findet der Ostbeauftragte Carsten Schneider. Im Interview spricht er über Erfolge, Misserfolge und den AfD-Aufstieg.Es gehört zu seiner Jobbeschreibung: Die Interessen des Ostens stark zu vertreten. Carsten Schneider, gebürtiger Erfurter, ist Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland. Darum ist der SPD-Politiker Schneider am Donnerstag dabei, wenn sich Bundeskanzler Olaf Scholz in Chemnitz mit den Regierungschefs der ostdeutschen Bundesländer trifft, um über die Energiekrise, die Förderung von Unternehmen und den Fachkräftemangel zu beraten. Im Interview mit t-online weist er die Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung zurück, spricht über Fremdenfeindlichkeit und das fehlende Selbstbewusstsein vieler Ostdeutscher.t-online: Ostdeutschland hinkt wirtschaftlich weiter hinter dem Westen her. Die Bundesregierung setzt auf Subventionen für Großunternehmen und hat gerade zehn Milliarden Euro für das Halbleiterwerk der US-Firma Intel in Magdeburg beschlossen. Ist das der richtige Weg?Carsten Schneider: Unbedingt. Dass sich Intel für Magdeburg entschieden hat, ist in vielfacher Hinsicht eine sensationelle Nachricht. Es ist die größte ausländische Direktinvestition, die es je in Deutschland gegeben hat. Der Vorsprung beim Ausbau der erneuerbaren Energien und die wirtschaftliche Dynamik in Ostdeutschland waren entscheidend.Es ist ein mit viel Geld erkauftes Vertrauen. Die 3.000 angekündigten Stellen sind vermutlich die am höchsten subventionierten Arbeitsplätze, die es je gab.Wir gehen davon aus, dass sich neben den 3.000 direkt angekündigten Stellen von Intel mindestens das Vierfache an zusätzlichen Arbeitsplätzen entwickelt. Die Investitionszuschüsse werden sich in den kommenden Jahren durch Steuereinnahmen und vor allem Wachstum in der Region rechnen. Es geht hier aber auch um technologische Souveränität. Halbleiter sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Kein Auto fährt mehr ohne sie. Wir sollten da nicht von China und den USA abhängig sein. Deshalb hat die Europäische Union das Ziel ausgegeben, 20 Prozent unseres Bedarfs selbst herzustellen. Das Zentrum dafür ist Ostdeutschland mit Dresden und jetzt Magdeburg. Wir sind Weltspitze.Kleine und mittlere Unternehmen sehen das anders. Fürchten sie nicht zu Recht, dass dringend benötigte Fachkräfte zu den großen Konzernen abwandern, weil die höhere Gehälter zahlen?In dem Bereich sind höhere Gehälter auch angemessen. Bisher verdienen Ostdeutsche immer noch deutlich weniger als ihre westdeutschen Kollegen, 600 Euro im Schnitt pro Monat, und sie arbeiten länger. Das ist 33 Jahre nach der Wende nicht mehr vertretbar. Alle Unternehmen sollten sich darauf einstellen, dass sie anständig bezahlen müssen. Sonst haben sie keine Chance, Arbeitskräfte zu finden. Die Zeiten von Massenarbeitslosigkeit sind auch im Osten vorbei.Die meisten Ökonomen sagen aber, es sei sinnvoller, statt 10 Milliarden für einen Großkonzern das Geld in höhere Forschungsinvestitionen und Bildung in Ostdeutschland zu stecken. Die einen Ökonomen sagen so, die anderen so. Frau Professor Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrates, hat bei einer Ökonomen-Tagung am Montag im Kanzleramt die Intel-Investition begrüßt. Sie hält die Subvention für gerechtfertigt, weil es um eine strategisch wichtige Industrie geht. Es geht aber auch um Strukturpolitik. Magdeburg ist eine vom Niedergang der Schwerindustrie stark gezeichnete Stadt. Sie wird nun wieder auf der Industrie-Landkarte auftauchen. Dieser Spirit ist schon jetzt in der Stadt zu spüren.Ein Problem für alle ist der Fachfachkräftemangel.Ja. Und deshalb brauchen wir im Osten neben Rückwanderung auch Zuwanderung.Ostdeutschland ist aber kein Paradebeispiel für Willkommenskultur. Wie lässt sich das ändern?Indem alle gesellschaftlichen Kräfte an einem Strang ziehen. In der Politik sind sich alle Parteien von CDU bis Linke einig und haben das beim Fachkräftegipfel Ost in Schwerin im Februar auch zum Ausdruck gebracht: Wir wollen und brauchen Zuwanderung.Viele Ostdeutsche sehen das aber offenbar anders, wie die hohen Zustimmungswerte für die AfD zeigen.Rassismus gibt es auch in anderen deutschen Regionen – leider. Man muss aber auch bedenken: Zu DDR-Zeiten war der Osten eine homogene Gesellschaft mit sehr wenigen Menschen aus dem Ausland. Es gab keine Erfahrung im Umgang mit Zuwanderung und viele Vorurteile. Doch das hat sich inzwischen sehr verändert, auch durch die EU-Migration in den Grenzgebieten etwa zu Polen oder Tschechien. Oder schauen Sie sich den Umgang mit den vielen ukrainischen Geflüchteten an. Da gibt es eine offene Haltung und viel Solidarität. Wir brauchen zugleich ein Zuwanderungsgesetz, um Zuwanderung besser steuern zu können. In den Verwaltungen, den Vereinen, bei der Feuerwehr muss aber auch ankommen: Diese Menschen sind ein Gewinn für uns, auch weil sie unsere Zukunftsfähigkeit sichern. Es ist deshalb gut, dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz jetzt kommt.Diese Sicht auf Zuwanderung teilen aber ja offenbar viele nicht. Sie lässt sich auch nicht verordnen.Natürlich lässt sie sich nicht verordnen. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass dort, wo ausländische Fachkräfte in den Unternehmen arbeiten, auch die Akzeptanz steigt. Das Betriebsklima wird besser und auch die Leistung. Das sagen auch Unternehmer. Das ist ein Lernprozess, für den ich werbe.Welche Rolle spielt das Gefühl der Benachteiligung in Ostdeutschland? Sie sprachen schon von den noch immer niedrigeren Löhnen.Dass Ostdeutsche benachteiligt werden, ist ja nicht nur ein Gefühl. Ostdeutsche bekleiden zu wenige Führungspositionen – in ganz Deutschland und sogar in Ostdeutschland. Ich habe im vergangenen Jahr Zahlen und Daten erheben lassen, die das für die Bundesministerien und Behörden belegen. Dort sind gerade einmal 7,5 Prozent der Führungsjobs mit Ostdeutschen besetzt.Statt mit 20 Prozent, was dem Anteil in der Gesamtbevölkerung entspräche.Ja. Ich will ein Bewusstsein dafür schaffen, dass jemand aus Thüringen eine Justizbehörde genauso führen kann wie jemand aus einem anderen Bundesland. Es wird Zeit, die Netzwerke aus dem Westen zu durchbrechen und Ostdeutsche in der öffentlichen Verwaltung genauso wie in Unternehmen, aber auch im Medienbereich gezielt zu fördern.Mit einer Ost-Quote?Nein. Die Lösung besteht darin, dass wir die gleichen Chancen gewähren, ohne mit einer starren gesetzlichen Quote zu arbeiten. Ich bin aus vielerlei Gründen kein Fan einer Quote.Warum nicht? Sie wäre rechtlich schwer durchzusetzen. Wie definiert man jemanden als ostdeutsch? Wie lang muss er oder sie dort gelebt haben? Es gibt keine justiziable Definition und zu viele Unschärfen. Ich setze lieber auf Selbstverpflichtung und mehr Sensibilität und bin sehr zuversichtlich, dass sich da was ändert. Das Bewusstsein wächst, das zeigen mir auch die Gespräche, die ich mit Konzernen geführt habe. Wir müssen aber auch Ostdeutsche ermutigen, sich mehr zuzutrauen und höhere Positionen anzustreben.Gibt es da Mentalitätsunterschiede? Unserem Naturell entspricht es eher nicht, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei gibt es viele Gründe für ein größeres Selbstbewusstsein. Unsere stolze Freiheitsgeschichte zum Beispiel, dass wir uns die Demokratie erkämpft haben.Brauchen Ostdeutsche mehr Selbstbewusstsein? Ja, wir haben allen Grund dazu. Aber kein ausgrenzendes, sondern ein inklusives Selbstbewusstsein.Und was braucht Gesamtdeutschland, damit wir irgendwann nicht mehr zwischen Ost und West unterscheiden?Mehr Verständnis füreinander und ein gemeinsames Interesse aneinander. Es sagt doch schon sehr viel aus, dass 20 Prozent der Westdeutschen noch nie in Ostdeutschland waren. Wir brauchen viel mehr Austausch, mehr ost-westdeutsche Städtepartnerschaften, mehr Austausch zwischen Schulen und Sportvereinen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.Herr Schneider, vielen Dank für das Gespräch.