Tödliche Schüsse in Frankreich: Ausschreitungen eskalieren – Stimmung längst gekippt
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,wenn Sie den "Tagesanbruch"-Newsletter abonnieren möchten, nutzen Sie bitte diesen Link. Dann bekommen Sie ihn jeden Morgen um 6 Uhr kostenlos per E-Mail geschickt. Und hier ist der Tageskommentar:"Die Polizisten hier sind sehr nervös." Das erklärte mir vor Jahren ein amerikanischer Freund, als ich gerade ein Semester in den USA studierte. Ich hatte einen kleinen Roadtrip vor mir und wollte von ihm wissen, was ich bei einer Polizeikontrolle beachten sollte. Sein Tipp: Hände am Lenkrad lassen, keine ruckartigen Bewegungen, immer genau tun, was die Beamten dir sagen.Angehalten wurde ich auf meinen Trip dann zwar nicht. Mir war aber klar, was er mit "nervös" meinte: Ich kannte die unzähligen Bilder von Einsätzen, in denen sich US-Polizisten einem Auto nähern, die Hand schon an der Waffe – und plötzlich die Pistole ziehen, weil der Fahrer aus ihrer Sicht eine unvorhergesehene Bewegung macht. Schließlich kann es in den USA durchaus vorkommen, dass auch der Fahrer im Besitz einer Schusswaffe ist.Verkehrskontrollen können überall brenzlig sein. Dafür müssen wir gar nicht in die USA schauen, es reicht auch ein Blick in unser Nachbarland Frankreich: Dort, im Pariser Vorort Nanterre, hat am Dienstagmorgen ein Polizist einen 17-Jährigen erschossen.Zunächst behaupteten die Beamten, der Junge habe sie überfahren wollen. Aufnahmen von dem Vorfall, die nun in den sozialen Medien kursieren, lassen diesen Schluss allerdings nicht zu, im Gegenteil. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Polizisten, der den Finger am Abzug hatte. In der Folge kam es an mehreren Orten in Paris zu Unruhen, gegen die die Polizei wiederum mit rund 2.000 Beamten vorging. Die Familie des 17-Jährigen kündigte zudem eine Klage wegen Mordes und Falschaussage gegen den Polizisten an.So die Lage, so weit die Fakten. Lassen Sie uns ein bisschen herauszoomen und überlegen, wofür diese Geschichte eigentlich steht.Mein Eindruck ist: Was in Nanterre passiert ist, zeigt nicht nur ein Problem, das Frankreich nicht in den Griff bekommt. Es steht sinnbildlich für gleich mehrere Konflikte, die das Land seit Jahrzehnten belasten – und die auch uns in Deutschland beschäftigen sollten.Zunächst kann niemand in Abrede stellen, dass Frankreich ein Problem mit Polizeigewalt hat. Allein bei Verkehrskontrollen kamen im vergangenen Jahr 13 Menschen ums Leben, so viele wie noch nie zuvor. Die Opfer: Meistens jung, männlich, aus Vorstädten und mit Migrationshintergrund. Bei Demonstrationen ist für französische Polizisten nicht nur der Einsatz von Tränengas, sondern auch von Gummigeschossen alltäglich. Und der Innenminister Gérald Darmanin? Der gibt sich gerne als Hardliner: Vor einigen Jahren warf er der rechtsextremen Politikerin Marine Le Pen vor, sie sei in ihrer Haltung zum Islam zu weich geworden.Ebenfalls unbestritten ist, dass der Job eines französischen Polizisten alles andere als ungefährlich ist. 80 Brennpunkte im ganzen Land sind vom Innenministerium als "vorrangige Sicherheitszonen" gekennzeichnet. Dort ist die Polizei mit mehr Personal aktiv, um gegen die hohe Kriminalität vorzugehen.Auch ist die Terrorgefahr in Frankreich besonders hoch. Islamisten haben in den vergangenen Jahren einen Mann geköpft, mit einem Laster wahllos Menschen überfahren oder mehrere Sprengstoffanschläge durchgeführt. Die Attentate von Paris im Jahr 2015 und in Nizza 2016 zählen zu den blutigsten auf unserem Kontinent seit mehr als 40 Jahren.Doch dienen diese Tatsachen als Rechtfertigung, auf einen 17-Jährigen zu schießen? Auf keinen Fall. Sie zeigen vielmehr, wie vergiftet die gesellschaftliche Atmosphäre in unserem Nachbarland ist. Und dabei habe ich das Offensichtlichste noch nicht erwähnt, nämlich dass die Hautfarbe des Jungen nicht weiß war.Von Verhältnissen wie in Frankreich sind wir zum Glück noch weit entfernt, möchte man meinen. Aber sind wir tatsächlich so viel besser? Überharte Polizeieinsätze, Kriminalität in Brennpunkten? Ganz neu klingt das auch für uns nicht.Man muss nicht lange suchen, um Todesfälle zu finden, bei denen man der Polizei ein Fehlverhalten unterstellen könnte. In Dortmund wurde im vergangenen Jahr ein 16-jähriger Senegalese mit fünf Schüssen getötet. Die Lage eskalierte, als dem Jungen Pfefferspray angedroht wurde, wenig später setzten die Beamten fast zeitgleich einen Elektroschocker und ihre Schusswaffen ein. Mittlerweile wird gegen einen der Polizisten wegen Totschlags ermittelt.Dass dabei die Aufklärung von Gewaltanwendungen der Polizei hierzulande zu wünschen übrig lässt, zeigte erst eine Studie im vergangenen Monat. 3.300 Menschen wurden dafür von der Goethe-Universität in Frankfurt befragt. Ergebnis: Häufig handele es sich bei den Opfern um junge Männer. Zu Anklagen kommt es fast nie: Das liegt nicht nur daran, dass viele nicht bereit sind, die Vorfälle zu melden. Denn auch wenn sich die Staatsanwaltschaft damit befasst, werden mehr als 90 Prozent der Fälle eingestellt."Vorrangige Sicherheitszonen" wie in Frankreich gibt es in Deutschland noch nicht. Aber manche würden sie sich vielleicht wünschen: Mitte des Monats kam es an zwei Tagen in Folge zu Massenschlägereien zwischen syrischen und libanesischen Familien in Castrop-Rauxel und Essen. Schnell war von Clankriminalität die Rede und mehr Polizeipräsenz wurde gefordert. Die Polizei in Castrop-Rauxel sprach dagegen später davon, dass der Streit zunächst unter Kindern ausgetragen wurde und dann eskalierte.Gänzlich fern sind uns die Vorkommnisse in Frankreich also nicht. Unser Nachbar hat seine Probleme jahrelang nur mit noch mehr Härte lösen wollen. Wohin das führt, was wir davon lernen können? Frankreichs Innenminister Darmanin hegt angeblich schon Ambitionen, bei der Präsidentschaftswahl anzutreten. Aktuellen Umfragen zufolge liegt er allerdings meilenweit hinter der Führenden zurück – der Rechtsextremen Marine Le Pen.Jetzt wird aufgeräumtSeine rücksichtslose Kriegsführung brachte dem Russen Sergej Surowikin den zynischen Spitznamen "General Armageddon" ein. Möglicherweise hat der General jetzt sein eigenes Ende eingeleitet: Recherchen der "New York Times" zufolge soll Surowikin in die Umsturzpläne von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin eingeweiht gewesen sein. Der nannte ihn einst den "fähigsten Kommandeur der russischen Armee".Offiziell tat der Kreml die Meldung erst als "Spekulation und Tratsch" ab. Doch am Abend hieß es dann laut der "Moscow Times", dass Surowikin festgenommen wurde – und die russische Führung inoffiziell fieberhaft nach weiteren mutmaßlichen Verschwörern sucht. Wo sich der General aufhält, ist jedenfalls immer noch unklar. Zuletzt wurde er am vergangenen Samstag gesehen.Unabhängig davon gehen die Kämpfe in der Ukraine weiter: Zuletzt schlug etwa eine russische Rakete in einem Café in der Stadt Kramatorsk ein – ein Kriegsverbrechen, schon wieder.Unter der LupeFür die AfD war der Sieg von Robert Sesselmann bei der Landratswahl im thüringischen Sonneberg ein Paukenschlag. Doch schon wenige Tage später erhält er aus der Landeshauptstadt Erfurt Gegenwind: Das Landesverwaltungsamt prüft, ob Sesselmann das Amt überhaupt ausführen darf. Schließlich wird die Thüringer AfD vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft.Das Verwaltungsamt kann jetzt Informationen über den neuen Landrat einholen, zum Beispiel beim Verfassungsschutz oder beim Bundesarchiv. Das Ergebnis sei noch völlig offen.Was steht an?Kommt der nächste Bahnstreik oder nicht? Nach wochenlangen Verhandlungen hat die Bahn der Gewerkschaft EVG am Mittwoch eine Schlichtung vorgeschlagen. Ob die Gewerkschaft einer externen Vermittlung zustimmt, könnte sich heute bei der Vorstandssitzung entscheiden.Endet die Blauhelm-Mission in Mali? Dass die Bundeswehr die UN-Mission Minusma in Mali verlassen wird, ist bereits beschlossen. Jetzt könnte aber die gesamte Mission auf der Kippe stehen: Darüber will die UN heute beraten, eine Abstimmung könnte am Freitag folgen.Neues von der Krankenhausreform: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verhandelt weiter mit den Ländern, wie das Krankenhauswesen umgebaut werden kann. Genauere Vorstellungen will er am Nachmittag präsentieren.OhrenschmausHeute ist der Internationale Tag der Kamera. Wussten Sie nicht? Macht auch nichts, aber deshalb empfehle ich Ihnen heute ein Lied mit einem Video, bei dem mir das Kamerateam wegen der langen Zeit beim Drehen und Schneiden immer noch leidtut. Das Ergebnis ist aber sehens- und hörenswert.LesetippsDie FDP profitierte im Heizungsstreit davon, bestimmte grüne Vorschläge zu verhindern. Doch viele Liberale haben das Image der Bremser-Partei satt, schreibt mein Kollege Tim Kummert.Das historische BildHeute reisen reiche Touristen in den Weltraum. 1961 bahnte ihnen Juri Gagarin den Weg in den Kosmos. Mehr erfahren Sie hier.Panzer und Geschütze hat der Westen der Ukraine gegeben, nun soll das Land gefälligst Ergebnisse liefern. Mit dieser Haltung machen wir es uns zu einfach, meint unser Kolumnist Wladimir Kaminer.Der deutsche Fußball erlebt sein nächstes Debakel. Auch die U21 scheitert früh bei einem Turnier. Es stellen sich viele Fragen – und es gibt nur einen Ausweg, findet unser Sportchef Andreas Becker.Zum SchlussIch wünsche Ihnen einen angenehmen Donnerstag. Morgen lesen Sie an dieser Stelle von Florian Harms.Herzliche GrüßeIhrDavid SchafbuchRedakteur Politik, Wirtschaft & GesellschaftTwitter: @SchubfachE-Mail: t-online-newsletter@stroeer.deMit Material von dpa.Den täglichen Tagesanbruch-Newsletter können Sie hier kostenlos abonnieren.Alle Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier.Alle Nachrichten lesen Sie hier.