Energiewende: Kohlekraftwerke könnten als Stromspeicher umgebaut werden
Der Druck zum Ausbau erneuerbarer Energien ist groß. Doch was passiert an bewölkten und windstillen Tagen? Ausgerechnet Kohlekraftwerke könnten helfen. Die Sonne scheint, der Wind weht: Das sind nicht nur perfekte Bedingungen für einen angenehmen Strandtag, sondern auch die Voraussetzungen für die Versorgung mit grüner Energie.Nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und der folgenden Energiekrise will Deutschland verstärkt auf erneuerbare Energien setzen. Die Pläne der Bundesregierung sind ambitioniert: Bis 2030 sollen 80 Prozent des deutschen Stroms aus Erneuerbaren stammen – fast das Doppelte des bisherigen Wertes. Zuletzt lag deren Anteil am deutschen Bruttostromverbrauch bei 46,2 Prozent.Doch damit auch an bewölkten und windstillen Tagen Strom fließt, braucht Deutschland neben Windrädern und Photovoltaikanlagen vor allem Stromspeicher. Dabei könnten gerade die besonders klimaschädlichen Kohlekraftwerke zum Einsatz kommen.Flüssiges Salz als EnergiespeicherAusgerechnet jene Anlagen, die jährlich Millionen Tonnen an CO2 ausstoßen, könnten also bei der Energiewende helfen. "Das, was an einem Kohlekraftwerk schädlich für die Umwelt ist, ist nur ein Teil des Kraftwerks, nämlich die Kohleverbrennung", sagte Stefan Zunft vom Institut für Technische Thermodynamik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) dazu dem "Deutschlandfunk". Die anderen Teile wollen er und seine Kollegen nun nutzen.Die Forscher nennen das Konzept "Third Life", also drittes Leben. Denn zuvor hat ein Kohlekraftwerk bereits zur Verbrennung von Kohle gedient, in einem zweiten Leben können sie auch als Gaskraftwerke genutzt werden. Im dritten Leben sollen die Kraftwerke nun also als thermische Speicher fungieren.Natürlich könnten auch neue Speicher gebaut werden, aber bei den Kohlekraftwerken könne man Dampferzeuger, Turbine und Generator weiterverwenden, wenn der Brennkessel gegen eine klimaneutrale Wärmequelle ausgetauscht wird, so Zunft.Das Speichern funktioniert dann wie folgt: In zwei großen Behältern werden Zehntausende Kubikmeter mit flüssigem Nitratsalz, einer Art Pökelsalz, erhitzt. In einem Speicher hat das Salz eine Temperatur von etwa 250 Grad, im anderen etwa 500 Grad. Mit überschüssiger grüner Energie wird dann Salz aus dem kälteren Behälter so weit erhitzt, dass es in den anderen Behälter überführt werden kann.Wird der Strom dann benötigt, wird das heiße Salz in einen Wärmetauscher geleitet, der Dampf erzeugt, mit dem dann die Turbine und damit wiederum der Generator betrieben wird. So funktioniert es auch bei der Kohleverbrennung. Technologie in Spanien schon im EinsatzBislang wird die Technologie für den Umbau von Kohlekraftwerken vom DLR noch in der Versuchsanlage Tesis getestet, dabei ist die Idee für Salz als Speichermedium nicht neu. Bereits seit einigen Jahren wird damit in Solarthermie-Kraftwerken gearbeitet. Ein solches Kraftwerk funktioniert mit Spiegeln, die das Sonnenlicht reflektieren und ein Speichermedium erhitzen, das wiederum Wasserdampf erzeugt.Ein erstes kommerzielles Kraftwerk dieser Art wurde bereits 2011 in der südspanischen Region Andalusien in Betrieb genommen. Es kann also funktionieren, doch die Anlage in Spanien hat Probleme, den Betrieb wirtschaftlich zu gestalten: Das Salz für die Speicher ist teuer – mit Steinen als Ersatz soll der Salzbedarf gesenkt werden.Akkus oder Speicher?Ein weiterer Nachteil der Speicher ist ihr geringer Wirkungsgrad. Dieser liegt laut DLR bei 40 bis 45 Prozent der eingespeicherten Strommenge. Bei der Rückverwandlung von Wärme in Strom geht viel Energie verloren. Bei Batterien liegt der Wirkungsgrad bei 75 Prozent. Allerdings – und das könnte in der aktuellen Heizungsdebatte interessant sein – könnte die Energie in einem Salzspeicher auch in Form von Wärme genutzt und ins Fernwärmenetz eingespeist werden. Ebenfalls für die Speicherlösung spricht die Anzahl der Kraftwerke. Allein in Deutschland gibt es mehr als 100 Kohlekraftwerke. Weltweit sind es sogar mehr als 10.000 Kohlekraftwerke.In Deutschland ist der Ausstieg aus der Kohleenergie für 2038 festgelegt. Würden nur die Hälfte der hiesigen Kohlekraftwerke, also 50, in Speicherkraftwerke umgebaut, könnten sie eine Gesamtspeicherkapazität von 500 Gigawattstunden bereitstellen, rechnet Antoine Koen vom Thinktank Future Cleantech im "Handelsblatt" vor. Eine Batterie von einem E-Auto wie dem VW ID.3 hat eine Kapazität von 58 Kilowattstunden. Das heißt, dass die 500 Gigawattstunden achteinhalb Millionen Autobatterien entsprächen.Anders als Batterien, die kurzfristig große Leistung bereitstellen können, sind Speicher laut Experten deutlich effektiver, wenn es darum geht, große Energiemengen vorzuhalten. Der Thinktank Future Cleantech Architects kommt daher zu dem Schluss, dass Speicher letztlich kostengünstiger sind als Batterien oder Akkus. Ist nun der richtige Zeitpunkt?Noch handelt es sich um Zukunftsideen, doch die könnten näher sein als je zuvor. Einen neuen Speicher von Grund auf zu bauen, dauert laut der Internationalen Energieagentur (IEA) im Schnitt vier Jahre. Ein Kohlekraftwerk umzurüsten, könnte deutlich schneller gehen.Die Technologien sind da, Tests in verschiedenen Teilen der Welt laufen. Doch bis vor Kurzem wäre der Betrieb einer solchen Anlage unwirtschaftlich gewesen. So erteilten RWE, DLR und die FH Aachen einem Pilotprojekt zur Umrüstung eines Braunkohlekraftwerks im Rheinischen Revier zu einem thermischen Speicher 2021 noch eine Absage.Mit dem beschlossenen Kohleausstieg, den Unsicherheiten an den Energiemärkten und den stark schwankenden Strompreisen haben sich jedoch die Marktbedingungen verändert. Die Option, die Wärme der Speicher für das Fernwärmenetz zu nutzen, könnte in der Debatte um das Heizungsgesetz an Fahrt gewinnen.