München: Autofreie Zone in Kolumbusstraße sorgt für Konflikte
Für einen Pilotversuch ist die Kolumbusstraße in der Unteren Au zur autofreien, grünen Meile geworden. Doch einige Anwohnende reagieren erzürnt – und auch stadtweit hat das Projekt hitzige Debatten ausgelöst.Jan Lohse flaniert an diesem lauen Sommerabend durch die Kolumbusstraße, die gleich ums Eck von seiner Wohnung liegt. Und doch hätte sich der 44-Jährige bis vor Kurzem nie träumen lassen, dass er einmal zur Erholung hierherkommen würde – in diese Allerweltsstraße, wie es sie in München zuhauf gibt. Will heißen: viel Asphalt und wenig Grün, viel Platz für Autos und wenig Platz für Menschen.Doch das hat sich geändert, seit ein Großteil der Kolumbusstraße für das Forschungsprojekt "Autoreduzierte Quartiere für eine lebenswerte Stadt" (AQT) umgestaltet wurde. Noch bis Ende Oktober sind Autos auf einem 300 Meter langen Abschnitt tabu; stattdessen sieht man dort Holzbänke und Stühle, Pavillons und Hochbeete sowie einen XXL-Sandkasten. Und: eine 500 Quadratmeter große Wiese aus Rollrasen, auf der Lohse und sein achtjähriger Sohn gerade Radschlagen geübt haben.Verkehrsprojekt spaltet das Viertel"Ich finde gut, was hier entstanden ist. Das hat ein ganz anderes Ambiente als früher", sagt der 44-Jährige. "Man kann hier jetzt Zeit verbringen, das verbessert die Lebensqualität im Viertel." Ganz ähnlich klingt das bei einem Vater, der es sich auf einer Sitzbank bequem gemacht hat, während sein Bub im Sandkasten buddelt. Und auch sonst sieht man fröhliche Menschen über die Wiese spazieren, im Pavillon ein Eis essen, Blumen gießen oder einfach nur die autofreie Ruhe genießen.All diese Eindrücke wollen so gar nicht zu den Geschichten von empörten Anwohnern passen, von lautstarkem Protest und aufgestochenen Reifen, von einem Stadtrat, der das AQT-Projekt als Wahlkampfhilfe für die AfD bezeichnet, sowie von einer Klage gegen die Straßensperrung, die ein Nachbar beim Verwaltungsgericht eingereicht hat. Kurzum, dieses – auf den ersten Blick so idyllische – Verkehrsprojekt erregt die Gemüter und spaltet das Viertel. Wohl auch, weil hier ein Konflikt aufbricht, der in München seit einigen Jahren immer häufiger zutage tritt.Kolumbusstraße wird zum "Reallabor"Doch zunächst zu einem anderen Vormittag und ans Ende der Kolumbusstraße, an den sogenannten Schlotthauer Platz, an dem im Rahmen des AQT-Projekts Hochbeete, Holzbänke und eine Bühne aufgebaut wurden. Dort steht Oliver May-Beckmann, Geschäftsführer des Münchner Clusters für die Zukunft der Mobilität, kurz MCube – ein Forschungsnetzwerk unter Federführung der TU München. Dieses untersucht unter anderem mit 45 Millionen Euro vom Bund, wie die Mobilität von morgen aussehen könnte.Eines von 14 MCube-Projekten ist das AQT, das einen Großteil der Kolumbusstraße sowie den Walchenseeplatz in Obergiesing probeweise zu autoreduzierten Quartieren umgestaltet hat. Mit dem Ziel, so May-Beckmann, "innovative Mobilitätslösungen und eine andere Verteilung des Straßenraums zu testen".Schließlich stehe für ihn fest, sagt der MCube-Chef, dass den Autos künftig weniger Platz zur Verfügung stehen wird. "Schauen Sie mal da runter, so sehen heute viele Straßen aus", sagt er und zeigt in die Schlotthauerstraße. Dort stehen beidseits parkende Autos, Platz für Mensch und Natur hingegen sucht man vergeblich."München wächst, platzt schon jetzt aus allen Nähten und ist seit Jahren Deutschlands Stau-Hauptstadt", sagt May-Beckmann. Dazu komme der Klimawandel, dessentwegen sich das Stadtbild verändern müsse: "Was glauben Sie, wie sich so eine Straße im Sommer aufheizt?" Vor diesem Hintergrund habe man in der Kolumbusstraße ein "Reallabor" errichtet, so nennt das May-Beckmann. Und ja, "wir haben erwartet, dass das polarisiert".Konflikt wird scharf geführtSchließlich spiegelt sich hier ein Konflikt wider, der in München zuverlässig aufbricht, sobald Fahrstreifen in Radwege umgewandelt, Parkplätze für Schanigärten geopfert, verkehrsberuhigte Sommerstraßen ausgewiesen oder neue Fußgängerzonen geplant werden. Stets ertönen dann von der einen Seite Klagen darüber, dass derlei Maßnahmen die Stau- und ̉Parkplatzproblematik verschärften, dass im grün-roten Rathaus eine Autofeindlichkeit vorherrsche, und dass die Stadtpolitik die Interessen der Mehrheit ignoriere.Auf der anderen Seiten gibt es nicht wenige Menschen, denen die Mobilitätswende nicht schnell genug vorangeht, und die Autos am liebsten heute statt morgen aus weiten Teilen der Innenstadt verbannen würden. Wie scharf dieser Konflikt in der Kolumbusstraße geführt wird, zeigt sich bei der Sitzung des Bezirksausschusses Au-Haidhausen. Dessen Zusammenkünfte sind normalerweise eine beschauliche Angelegenheit, die höchstens eine Handvoll Menschen anziehen.An diesem Abend aber – nur weil das AQT-Projekt auf der Tagesordnung steht – drängen Dutzende in den Saal, vorbei am sichtlich überforderten Sicherheitspersonal, das wegen des Ansturms sogar Leute abweisen muss. Und kaum ist die Kolumbusstraße aufgerufen, geht es hoch her – Applaus und Zwischenrufe inklusive.Anwohner reicht Klage beim Verwaltungsgericht ein"Das ist ein Paradies, welches da entstanden ist", lobt eine Anwohnerin, bevor sich eine Frau zu Wort meldet, die über den "unerträglichen Lärm" der spielenden Kinder klagt. "Das bringt die Nachbarschaft zusammen", sagt ein Mann, worauf ein anderer poltert: "Das ist kein Zusammenleben, das ist ein Auseinanderleben."Auch Steffen Winkels, der in Sichtweite der Kolumbusstraße wohnt, meldet sich in der Sitzung zu Wort. Er kritisiert den Wegfall der Parkplätze, den Lärm und den Sand, den Ausweichverkehr in den Nebenstraßen und die mangelnde Bürgerbeteiligung an dem Projekt. "Ich habe mit fünfzig Anwohnern gesprochen", betont er. "Und alle sehen das negativ." Daher habe er beim Verwaltungsgericht eine Klage eingereicht – mit dem Ziel, den Pilotversuch zu stoppen.Debatte erreicht den StadtratDie Debatte über das AQT-Projekt hat längst auch den Stadtrat erreicht. So warnte SPD-Mann Roland Hefter in der "Bild"-Zeitung, dass "solche Maßnahmen über die Köpfe der Anwohner beziehungsweise Bürger hinweg" zu Politikverdrossenheit führten. Und weiter: "Da braucht man sich nicht zu wundern, dass die AfD starken Zuspruch bekommt."Diese Aussage kam selbst in seiner Partei nicht gut an. So kommentierte SPD-Fraktionschefin Anne Hübner gegenüber der "Süddeutschen Zeitung": "Im Ton war das nicht passend." Und die Grünen-Stadträtin Gudrun Lux befand: "Demokratinnen und Demokraten wählen nicht rechtsextrem, nur weil ihnen eine Sommerstraße nicht gefällt."Zerstochene Reifen aus Wut?Derweil räumt MCube-Geschäftsführer May-Beckmann ein, dass es durchaus berechtigte Kritik an dem Projekt gebe. Und darauf werde man auch eingehen, versichert er. "Das ist ja der Charakter eines Reallabors, dass wir schnell und agil auf Feedback reagieren." Doch bei aller Kritik zeigten die Rückmeldungen und die bereits angelaufene Evaluierung, dass eine "klare Mehrheit" der Anwohnenden das Projekt befürworten, betont er.Um den Austausch mit und innerhalb der Nachbarschaft zu pflegen, gebe es alle zwei Wochen eine öffentliche Sprechstunde am Schlotthauer Platz. Zudem plane man ein "Demokratiecafé", bei dem Anwohnende trotz ihrer kontroversen Standpunkte ins Gespräch kommen sollen.Wie die Auseinandersetzung keinesfalls ablaufen darf, hat sich indes auch schon gezeigt. So berichtet May-Beckmann, dass an den Mobilitätspunkten an beiden Enden der Kolumbusstraße, an denen man Autos, E-Roller und Co. ausleihen kann, gleich zweimal die Reifen eines Lastenfahrrads aufgestochen wurden – mutmaßlich aus Wut über das AQT-Projekt.