Giftige Feuerameisen: Sie sind winzig – und schrecken ein ganzes Land auf
Wer schon in Australien war, kennt die strikten Zollvorgaben des Landes. Damit will man Mensch und Tier schützen. Ein gefährlicher Eindringling lässt sich allerdings kaum stoppen.Aus Brisbane berichtet Anna-Lena Janzen.Eigentlich sind die Australier den Umgang mit gefährlichen Kreaturen gewohnt. Haie stören beim Surfen die wenigsten Einheimischen, Schlangen und giftige Spinnen begegnen einem sogar in den Großstädten. Doch nun sorgt ein zunächst eher harmlos erscheinendes Tier für Alarm: die rote Feuerameise. Die Art breitet sich derzeit rasant aus im Land, und fragt man Menschen nach ihren Erfahrungen mit dem martialisch auftretenden Insekt, hört man das Grauen in ihren Stimmen. "Ich hatte noch nie so große Angst, meinen Fuß aufzusetzen", erzählt Dr. Pam Swepson von einer Begegnung mit dem Winzling. Swepson beschäftigt sich schon seit Jahren mit der aus Südamerika eingeschleppten Art. Sie erzählt von Ameisennestern, die bis zu einem halben Meter hoch sind. In Brisbane, im Nordosten des Landes, sei sogar eines entdeckt worden, das so groß wie ein Auto war.Die Nester der Feuerameisen sind meist schwer zu erkennen, da sie keine zentralen Eingangsbereiche haben. Unter ihnen befinden sich große Tunnelnetzwerke, in denen die Arbeiterameisen ihre Königinnen beliefern. Feuerameisenkolonien enthalten typischerweise 200.000 bis 400.000 Arbeiterinnen. Es gibt aber auch Superkolonien mit Hunderten Königinnen und vielen Millionen Tieren insgesamt. "Dann solltest du den Stock schnell fallen lassen"Swepson, die einst für das australische Regierungsprogramm arbeitete, das gegen die Ameisen vorgeht, erklärt, wie man die unscheinbaren Tierchen erkennen kann: und zwar an ihrem Verhalten. Denn schon die geringste Störung lässt die Tiere aggressiv werden und ausschwärmen. "Wenn du einen Haufen Erde siehst und wissen möchtest, ob sich Feuerameisen darunter verstecken, klopfst du ihn vorsichtig mit einem Stock ab. Wenn dann viele Ameisen herausschwärmen, solltest du den Stock schnell fallen lassen".Ameisen marschieren Richtung New South WalesSwepson lebt im Bundesstaat Queensland, wo derzeit akuter Ameisenalarm herrscht. Fährt man an der Gold Coast, einer beliebten Badegegend, über den Highway, sieht man an Straßenrändern riesige Leuchttafeln zwischen den Verkehrsschildern. Diese rufen Anwohner in blinkender Schrift dazu auf, Hinweise auf Feuerameisen bei den Behörden zu melden. In der Nähe einer Wohnsiedlung ist eine Grünfläche gesperrt. Kleine Hütchen mit Warnhinweisen wurden aufgestellt: "Achtung! Feuerameisen".Die Ameisen sind in dem Bundesstaat auf dem Vormarsch, sie breiten sich in alle Richtungen aus. Mehr als 600.000 Hektar Land sind hier mittlerweile befallen. Erst im Juni dieses Jahres wurden in Queensland – nur etwa fünf Kilometer von der Grenze zum Nachbarstaat New South Wales (NSW) entfernt – neue Nester entdeckt. Bis dato war nicht offiziell bekannt gewesen, dass die Ameisen schon so weit in den Süden vorgedrungen waren. An der Gold Coast mussten bereits Strandabschnitte, Sportplätze, Spielplätze und Parks wegen des stechenden Insekts geschlossen werden.Die große Sorge: Die Ameisen könnten über die Grenze nach NSW marschieren (Ameisenköniginnen können sogar fliegen). Noch schlimmer: Sollten die Ameisen in das Flussnetzwerk Murray-Darling-Basin gelangen, das sich von Queensland über NSW bis nach Victoria und Südaustralien erstreckt, könnten sie sich rasant in fast jede Ecke des Kontinents ausbreiten. Die Feuerameisen entwickeln im Wasser eine kollektive Superkraft. Sie lagern sich zu einem Rettungsfloß zusammen und lassen sich so flussabwärts treiben.Das sei das absolute "Worst-Case-Szenario", wie Experten nicht müde werden zu betonen. Sollte sich die Ameise weiter ausbreiten, würde sie Australien wegen Schäden an Landwirtschaft, Natur und Infrastruktur etwa zwei Milliarden Dollar pro Jahr kosten. Auch die medizinische Versorgung der Opfer ihrer Angriffe müsse man einberechnen. Insgesamt würde die Ameise laut Experten höhere Schäden im Land anrichten als die meisten anderen Schädlinge insgesamt, darunter verwilderte Katzen, wilde Hunde, Füchse, Kamele, Kaninchen und Rohrkröten."Wir wollen kein weiteres stechendes Tier in unserem Land""Vielleicht ist es für Menschen im Ausland bei all den giftigen Tieren, die wir eh schon haben, nicht so einfach zu verstehen", sagt Reece Pianta, Feuerameisenexperte des "Invasive Species Council", einer Organisation, die sich für die Aufklärung über invasive Tierarten einsetzt. "Aber wir wollen kein weiteres stechendes Tier in unserem Land", so Pianta. "Keiner will einen Strand besuchen, auf dem es Feuerameisen gibt". Die Gold Coast diene als gutes Beispiel dafür, was Feuerameisen anrichten könnten, sollten sie sich im gesamten Land ausbreiteten.Auch Landwirte zeigen sich äußerst beunruhigt. Die Stiche der Feuerameisen sind für das Weidevieh gefährlich und ihre Nesthügel erschweren den Einsatz von Maschinen. Die Insekten ziehen Plantagen, Felder und Äcker in Mitleidenschaft und richten Schäden an Straßen und Gebäuden an. Experten sind überdies ratlos angesichts des Phänomens, dass Feuerameisen bevorzugt in elektrische Geräte wie Ampelanlagen, Computer oder Klimaanlagen kriechen und diese dadurch lahmlegen können.Eingeschleppte Tierarten wie die Feuerameise bedrohen in Australien auch zahlreiche Ökosysteme und einheimische Tierarten. Experten schätzen, dass die Feuerameise durch ihre aggressive Art und hohe Populationsdichte andere seltene Arten verdrängen könnte. Klimawandel und Naturkatastrophen begünstigen den Vormarsch der anpassungsfähigen Eindringlinge. Auch deshalb pumpt das Land mehr finanzielle Mittel als je zuvor in die Bekämpfung von invasiven Tierarten.Ameise hat schon in den USA große Schäden angerichtetAustralien schaut sorgenvoll hinüber zu den USA, denn dort haben sich die Tiere bereits stark ausgebreitet. Das US-Gesundheitsministerium schätzt, dass jährlich rund 80.000 Menschen aufgrund von Feuerameisenstichen einen Arzt aufsuchen müssen. Es kursieren Horrorgeschichten von Senioren oder Säuglingen, die von den Ameisen heimgesucht wurden und sich nicht wehren konnten. Mehrere Menschen sind infolge ihrer Attacken sogar gestorben.Die aggressive rote Feuerameise hat im Süden der USA bereits die heimischen Ameisenarten verdrängt. In Florida wurde beobachtet, wie Nester bedrohter Schildkrötenarten den Feuerameisen zum Opfer fielen. Die jährlichen Kosten durch Schäden, die von diesen Ameisen verursacht werden, belaufen sich Berichten zufolge auf über sechs Milliarden US-Dollar pro Jahr.Solenopsis invicta – die unbesiegbare Ameise – macht auch ihrem wissenschaftlichen Namen alle Ehre. In den USA zeigten sich Tausende Insektizide im Kampf gegen den Schädling erfolglos. Die Regierung warf schon mit B-26-Bombern Chemikalien auf Ameisenregionen ab. Darunter litten am Ende vor allem aber andere Tiere. Mittlerweile haben sich die Ameisen in den USA so weit ausgebreitet, dass eine vollständige Vernichtung der Art nicht mehr möglich zu sein scheint.Ärger über die RegierungEin Szenario, das Australien unbedingt vermeiden möchte, weshalb die Bundesstaaten und das Commonwealth bereits mehr als 740 Millionen australische Dollar (rund 400 Millionen Euro) in den Kampf gegen das Tier investiert haben.Die Ameise wurde auf dem Kontinent erstmals im Jahr 2001 am Hafen von Brisbane entdeckt. Wahrscheinlich ist sie jedoch bereits Jahre zuvor per Frachtschiff eingeschleppt worden. Seitdem werden flächendeckend Insektizide gesprüht und Köder auf befallenen Gebieten verteilt, die dazu führen sollen, dass die Ameisenkönigin unfruchtbar wird. Laut Regierung konnten bislang sieben der von den Insekten kontaminierten Regionen unter Kontrolle gebracht werden. Der größte Befall erstreckt sich jedoch weiterhin von Brisbane bis zur Grenze nach NSW. Das Gebiet liegt seit vielen Jahren im Fokus eines national finanzierten Programms, das sich "National Red Fire Ant Eradication Program" nennt. Mit seiner Hilfe sollen die Ameisen ausgerottet werden. Das Programm wurde vom zuständigen Minister in Queensland, Mark Furner, erst im vergangenen Juli als "Weltklasse" bezeichnet. Nirgendwo sonst auf der Welt sei es gelungen, Feuerameisen so erfolgreich einzudämmen, hieß es in einem Statement der Regierung. Seine Behörde hat im Juli dennoch eine neue Strategie für die nächsten vier Jahre vorgestellt.Statt den Befall großflächig zu bekämpfen, will Queensland nun eine hufeisenförmige Sperrzone um das Gebiet schaffen, in dem sich die Feuerameisen aufhalten. So sollen die Eindringlinge von außen nach innen eingekreist werden, um sie allmählich in Richtung Küste auszurotten. Zudem soll mehr Geld in Maßnahmen zur Einhaltung der Biosicherheitsvorschriften investiert werden, damit die Ameisen nicht durch die Bewegung von landwirtschaftlichen Produkten in neue Regionen verschleppt werden. Die Finanzierung soll sowohl vom Bund als auch von den einzelnen Bundesstaaten kommen.Ärger über die bisherigen MaßnahmenEinige Experten äußern jedoch Zweifel daran, ob der Staat den Ameisenbefall überhaupt noch unter Kontrolle bringen kann. Sie prangern Verfehlungen des Programms an. Swepson, die sich heute als Ameisen-Whistleblowerin bezeichnet, sagt, man habe in Queensland in den vergangenen 22 Jahren weder Daten noch wissenschaftliche Belege zum Erfolg eines Ausrottungsprogramms gesammelt. Es sei nur immer weiter Geld in die Staatskasse geflossen. Jetzt sei zu spät, die Ameise aufzuhalten. Das Hufeisen auf der Karte schließe bereits vorhandenen Befall jenseits der Linie nicht mit ein.Seit 2016 hat sich die Regierung von Wissenschaftlern beraten lassen, um ihre Programmausrichtung zu bestimmen. Dr. Daniel Spring, ein Forschungsmitarbeiter an der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität von Melbourne, war Teil einer solchen Gruppe. Bereits 2019 hatte er in einem Papier dafür plädiert, dass ein Ausrottungsprogramm die Invasion schrittweise vom Rand aus nach innen zurückdrängen müsse. Dafür sei allerdings eine kontinuierliche Überwachung der Größe der Invasion notwendig, welche womöglich nicht finanzierbar sei. Daran könne ein Ausrottungsprogramm scheitern, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfahre, schrieb Spring damals. Spring stellt infrage, dass die Regierung sich in der Vergangenheit an die Empfehlungen der Wissenschaftler gehalten habe. "Und das könnte nun Folgen haben", so Spring. Unter anderem habe es wohl Lücken bei der Überwachung der Ameisenausbreitung gegeben. "Es ist fraglich, ob sie als Ziel der Strategie die Ausrottung hätten vorantreiben sollen. Das müssen sie mit Beweisen belegen. Und es ist fraglich, ob sie dann die richtige Strategie gewählt haben", sagt der Wissenschaftler.Ameisenschnüffler sollen helfen, Nester zu entdeckenAmeisenkolonien so früh wie möglich zu entdecken und zu zerstören, ist bei der Bekämpfung der Plagegeister ein kritischer Faktor. In Queensland werden dazu Luftaufnahmen von Infrarot- und Wärmekameras genutzt. Zudem setzt der Bundesstaat Spürhunde ein, die darauf trainiert sind, die Ameisen zu erschnüffeln."Die Ameisen hinterlassen eine chemische Signatur, einen einzigartigen Geruch. In den Gebieten, in denen wir arbeiten, gibt es über 100 Ameisenarten. Die Hunde identifizieren jedoch nur die Feuerameisen", sagt Hundeführer Jordan Christensen dem australischen Sender ABC. Die Behörden verwendeten die Schnüffler vor allem, um sicherzustellen, dass Gebiete nach der Behandlung auch wirklich frei von Feuerameisen seien. Die Hunde könnten den Ameisengeruch unter guten Bedingungen aus einer Entfernung von bis zu 50 Metern wahrnehmen, so Christensen. Die Tiere werden einer strengen Ausbildung unterzogen. Als Teil davon müssen sie sich auch von Feuerameisen stechen lassen. Damit soll sichergestellt werden, dass die ausgewählten Hunde nicht allergisch reagieren."Das ist unsere große Befürchtung"Doch trotz der vielen Maßnahmen bleibt abzuwarten, ob es Australien gelingen wird, die "unbesiegbare" Ameise zu besiegen. Pianta vom "Invasive Species Council" zeigt sich mit der aktuellen Hufeisenstrategie der Regierung zwar zufrieden. In den aktuellen Plänen werde aber nur ein fünf Kilometer langer Abschnitt und nicht das gesamte Hufeisen finanziert. "Wir fordern, dass die Regierung jetzt das Geld auftreibt, um den gesamten Plan umzusetzen", so Pianta. Sonst könnten die Feuerameisen bei der derzeitigen Ausbreitungsgeschwindigkeit rasch außer Kontrolle geraten. "Das ist unsere große Befürchtung."Und nicht zuletzt stellt sich auch die Frage, ob sich die aggressiven Ameisen auch in europäischen Gefilden ausbreiten könnten. Erstmals gab es in diesem Jahr einen Nachweis der roten Feuerameise in Europa. Auf der italienischen Mittelmeerinsel Sizilien wurden gleich Dutzende Nester entdeckt.Derzeit sind viele Länder in Europa aufgrund des kühleren Klimas kein geeigneter Lebensraum für die rote Feuerameise. Wissenschaftler in den USA haben jedoch herausgefunden, dass diese Schädlinge äußerst anpassungsfähig sind und sich auch an kühlere Klimazonen gewöhnen können. Der Klimawandel führt zudem dazu, dass die Temperaturen in Mittel- und Südeuropa steigen. Infolgedessen könnten es sich die roten Feuerameisen womöglich künftig auch in Deutschland gemütlich machen.