Deutschland verletzt Rechte von Flüchtlingskindern; "Versuche, nicht zu weinen"
Geflüchtete Kinder und Jugendliche leben in Deutschland oft monate- oder jahrelang in Sammelunterkünften. Eine Studie zeigt, wie ihnen so ihre Kinderrechte verwehrt bleiben. Sie leben dicht an dicht mit anderen Menschen zusammen, schlafen mit Fremden in einem Raum und warten teils monatelang, bis sie endlich zur Schule gehen können: Die Rechte geflüchteter Kinder werden in Deutschland oft nicht gewahrt, kritisieren das Kinderhilfswerk Unicef Deutschland und das Deutsche Institut für Menschenrechte.Einer der schlimmsten Umstände, die die beiden Organisationen in einer Studie festhalten: Einige der Kinder werden in Flüchtlingsunterkünften von ihren Familien getrennt und mit fremden Menschen in einem Raum untergebracht.Für die Studie hat das Sinus-Institut für Sozial- und Marktforschung 50 Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 17 Jahren in vier verschiedenen Unterkünften im Norden, Süden, Westen und Osten Deutschlands befragt. Einige der Antworten geben die Autoren dabei wörtlich wieder."Ich musste dann mit einer Familie zusammen in einem Zimmer wohnen, in dem eine Frau und zwei Kinder waren", berichtet etwa ein 16-jähriges Mädchen aus einer Unterkunft in Süddeutschland. Ihre Mutter habe derweil mehr als drei Monate in einem anderen Zimmer, gemeinsam mit einem Mann, einer Frau und einem kleinen Kind, wohnen müssen."Wir haben gleich von Anfang an gesagt, dass es nicht richtig ist, dass wir getrennt sind. Wir haben immer wieder nachgefragt, warum das so sein muss", so das Mädchen weiter. Gebracht hat es nichts. "Was ich mir wünsche, ist ein bisschen mehr Privatsphäre"Laut Silke Brokstedt, Geschäftsführerin des Sinus-Instituts, sei das kein Einzelfall. "Wir ringen in Deutschland bei der großen Aufgabe, geflüchteten Familien Schutz zu bieten, um die Aufnahmefähigkeit unseres Landes und um die Kosten", sagt sie.Und Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef, kritisiert: Dabei werde oft übersehen, dass ein hoher Anteil der in Deutschland Schutz suchenden Menschen Kinder sind. Rund 40 Prozent der Asyl- und Schutzsuchenden in Deutschland seien Kinder und Jugendliche. Ihnen stünden dieselben Rechte zu wie anderen Kindern in Deutschland auch.Doch häufig würden diese verletzt, da die Unterkünfte für Geflüchtete oftmals nicht kindgerecht seien. Dennoch seien viele Kinder und Jugendliche einige Monate, teils mehrere Jahre dort untergebracht.Viele der Kinder und Jugendlichen erlebten die so häufig beengten Wohnverhältnisse als belastend und wünschen sich mehr Privatsphäre. "Leider ist mein Zimmer mit der Küche verbunden und dem Flur. Es gibt also keine Tür, von der ich sagen kann, hey, ich kann die jetzt zumachen und den Kopf ein bisschen freihaben [...]. Was ich mir wünsche, ist ein bisschen mehr Privatsphäre", berichtet etwa ein Jugendlicher. Bei Schränken fehlten teilweise die Türen, sodass der Inhalt für alle Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkunft frei einsehbar sei. Eine Jugendliche berichtete, dass sich ihr persönlicher Spint nicht abschließen lasse, sodass der Blick immer gleich auf die darin aufbewahrten Hygieneartikel falle, was ihr unangenehm sei. "Ich habe Angst, dass wir hier nicht aufgenommen werden"Ein weiteres Problem: Viele Kinder müssten oft monatelang darauf warten, zur Schule gehen zu können, und vermissten deshalb soziale Kontakte außerhalb der Unterkunft. Zudem litten viele unter der Ungewissheit ihrer Situation und fürchteten eine Abschiebung. "Ich habe Angst, dass wir hier nicht aufgenommen werden, weil wir es in allen Ländern versucht haben", berichtet etwa ein Elfjähriger aus einer Unterkunft im Westen Deutschlands. "Die anderen Länder sind sehr weit weg, und es würde ein großes Problem sein, wenn sie uns hier nicht aufnehmen sollten." Einige von ihnen haben bereits erlebt, was dann passieren kann: Sie werden abgeschoben.Ein 15-jähriges Mädchen etwa hat das schon einmal mitgemacht, sagt sie. Umso größer sei ihre Angst davor. "Ich versuche, nicht zu weinen, aber es tut manchmal sehr weh, wenn ich darüber rede", sagt sie. Die Beamten seien mitten in der Nacht ohne Ankündigung in die Unterkunft gekommen. "Bei uns gab es eine Glastür, die haben sie einfach zerbrochen – so richtig geknallt haben die Türen", berichtet sie.Der Polizist, der in ihr Zimmer gekommen sei, habe zunächst eine Waffe in der Hand gehabt und das Kind dann ins Wohnzimmer geschickt. "Da sah ich meine Mutter, sie war am Weinen, am Ausrasten. Sie holten meinen Vater und schlugen ihn vor mir. Ich hörte die Schreie meiner Mutter", berichtet sie.Dann sei alles ganz schnell gegangen: "Die haben uns ein paar Tüten gegeben, da sollten wir alles reintun, was wir in kurzer Zeit finden konnten", berichtet die 15-Jährige. Ihr Haustier habe sie zurücklassen müssen, so wie einige ihrer persönlichen Gegenstände. "Ich konnte nicht mal meine Schuhe anziehen und bin barfuß durch die Glassplitter gelaufen", sagt sie. Am Auto angelangt, hätten die Beamten der Familie die Handys abgenommen. "Wir konnten niemanden anrufen, nicht mal unseren Anwalt, und ich dachte: Das ist es? Nach so vielen Jahren? Einfach unfair!", sagt sie und bricht in Tränen aus. Überprüfen lässt sich die Aussage des Mädchens nicht. Doch das sei auch nicht das Ziel der Studie gewesen, so eine Sprecherin von Unicef. Stattdessen sollten die Perspektiven von Kindern und Jugendlichen wiedergegeben werden. Doch auch Haupt- und Ehrenamtliche, die in den Unterkünften tätig sind, schildern, dass eine mögliche Abschiebung eine große Angst der Kinder und Jugendlichen sei. "Keiner wollte neben mir sitzen"Nicht nur bei einer möglichen Abschiebung, auch schon zuvor spüren die Kinder, dass sie nicht wie andere Kinder behandelt werden. Ein Jugendlicher aus einer Unterkunft in Ostdeutschland schildert: "Wenn ich in der Bahn bin, haben die Leute irgendwie Angst. Ich spüre das. Ich hab das gesehen. An einem Tag war die Bahn voll. Ich saß auf einem Viererplatz. Die Bahn war voll, aber keiner wollte neben mir sitzen. Ich verstehe nicht, warum."Einem 16-jährigen Mädchen aus der Unterkunft geht das ähnlich: "Bis heute geben sie mir immer das Gefühl, dass ich schlechter bin, weil ich die Sprache nicht so beherrsche wie sie", berichtet sie über ihre Mitschülerinnen. Oftmals traue sie sich darum nicht, sich im Unterricht zu melden."Umsetzung der Kinderrechte ist kein 'Nice-to-have'"Als Konsequenz aus der Studie fordern Unicef Deutschland und das Deutsche Institut für Menschenrechte eine dezentrale Unterbringung von Familien und den unmittelbaren Zugang zu Kindergarten, Schule oder Ausbildung, denn laut UN-Kinderrechtskonvention hätten geflüchtete Kinder und Jugendliche Anspruch auf den gleichen Schutz und die gleiche Unterstützung wie alle anderen in Deutschland lebenden Kinder."Die Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland ist nicht optional. Sie ist kein 'Nice-to-have', sondern sie sind gesetzlich vorgeschrieben", sagt Michael Windfuhr, stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte. In der Realität seien menschenwürdige Bedingungen jedoch nicht strukturell verankert und würden auch nicht überprüft werden. Es brauche daher ressortübergreifende Bemühungen, die Kinderrechte von geflüchteten Kindern und Jugendlichen durchzusetzen.Das sei nicht immer kompliziert: "Viele der Kinder haben pragmatische und leicht umsetzbare Lösungsvorschläge, wie etwa, dass man ihnen zuhört", so Windfuhr. Dazu brauche es ressortübergreifende Bemühungen, die Kinderrechte von geflüchteten Kindern und Jugendlichen durchzusetzen, sowie Beteiligungsstrukturen, nicht nur, aber auch für geflüchtete Kinder in den Kommunen und auf politischer Ebene.