Mehr Flüchtlinge in Deutschland: Schleuser werden immer skrupelloser
Die Lage an der Ostgrenze der Republik wird brenzlig: Mehr Flüchtlinge kommen, die Schleuser arbeiten oft ohne Rücksicht auf Verluste. Ein Minister warnt: Die Frage ist nicht, ob es zu einer Tragödie kommt – sondern wann.139 unerlaubt Einreisende hat die Bundespolizei vergangenes Wochenende im Süden Brandenburgs aufgegriffen, vor allem Syrer, aber auch Afghanen, Iraker und Türken. Die Beamten nahmen dabei vier mutmaßliche Schleuser fest. Die Meldung erregte viel Aufsehen – jedoch handelt es sich nicht um einen Einzelfall an der deutschen Ostgrenze.Allein von Januar bis Juli dieses Jahres hat die Polizei knapp 56.000 unerlaubte Einreisen festgestellt, darunter sind in der Regel viele Menschen, die im Anschluss Asyl beantragen. Im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum knapp 20.000 Personen weniger. "Insgesamt stellte die Bundespolizei in den Monaten Januar bis Juli 2023 bislang 1.255 Schleusungen fest", sagte ein Sprecher der Bundespolizei t-online. Auch hier: Die Zahlen steigen dieses Jahr enorm an. Schleuser fliehen oft vor der Polizei – ohne Rücksicht auf VerlusteBesonders betroffen ist die Grenze zu Polen und Tschechien. Fast täglich meldet die Bundespolizei illegale Einreisen und Festnahmen von Schleusern. Und die Schleuser agierten immer skrupelloser, warnen die Beamten.Schleusern sei egal, was sie eigentlich transportieren, sagt Dieter Romann, Präsident der Bundespolizei in einer Mitteilung: "Sie scheren sich nicht um die Gefahr für Leib und Leben. Es geht ihnen nur ums Geld. Und mit Schleusungen von Menschen verdient man derzeit einfach mehr als mit Drogen- oder Waffenschmuggel."Vor allem fliehen Schleuser oft auf gefährliche Art und Weise vor der Polizei – und gefährden damit auch das Leben der Geflüchteten. Ausschnitte aus den Polizeiberichten der vergangenen Wochen zeigen, was gemeint ist:Am Dienstag schleuderte ein mutmaßlicher Schleuser mit seinem Auto in eine Hauswand in Niederbayern. Der Pkw überschlug sich, blieb auf dem Dach liegen. Sechs der zehn Migranten im Auto mussten im Krankenhaus behandelt werden.Auf der Flucht vor einer Polizeikontrolle kam am 24. August ebenfalls in Niederbayern ein mutmaßlicher Schleuser mit 19 Migranten in seinem Transporter von der Fahrbahn ab und fuhr in einen Graben. Nach dem Unfall floh der Mann zu Fuß. Ein 20-jähriger mutmaßlicher Schleuser versuchte am 22. August, im sächsischen Heidenau über die Autobahn vor der Polizei zu fliehen. In seinem Wagen fand die Polizei zehn Menschen, darunter drei Kleinkinder.Vergangene Woche griff die Polizei im Süden Mecklenburg-Vorpommerns 21 Menschen auf. Die Schleuser sollen die Syrer und Iraker hinter der Grenze abgesetzt haben und dann geflohen sein.Sachsen schickt Landespolizisten an die GrenzeSachsen hat deshalb bereits erste Konsequenzen gezogen. Der Freistaat kündigte diese Woche an, mehr Landespolizisten an die Grenze zu Tschechien und Polen zu schicken – als Unterstützung für die Bundespolizei, in deren Aufgabenbereich der Grenzschutz fällt. Es gehe sowohl um "offene als auch gedeckte Maßnahmen" von Beamten in Zivil, erklärte Landesinnenminister Armin Schuster (CDU) die Maßnahme. Der Innenminister fordert auch Grenzkontrollen vom Bund. Schuster zufolge ist die grenzüberschreitende Kriminalität in jüngster Zeit sprunghaft angestiegen. Die Schleuser gingen dabei immer skrupelloser vor. Es sei nicht mehr die Frage, ob es zu einer Katastrophe bei der Schleusung komme, sondern nur noch wann, zitierte Schuster seinen Landespolizeipräsidenten in einem Pressestatement. Oft würden Flüchtlinge nachts auf freiem Feld ausgesetzt, auch mit Kindern. Die Schleuser sind dann schnell über alle Berge."Schleusungen sind ein ganz schmutziges Geschäft", sagte Steffen Ehrlich, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel der Nachrichtenagentur dpa. "Hier geht es nicht um Menschen. Hier geht es nur ums Geldverdienen. So viel wie möglich und so schnell wie möglich."Mehrere Hundert bis Tausende Euro würden Schleuser für die Einreise nach Deutschland verlangen. Die gesamte Flucht aus dem Herkunftsland bis zum Ziel kann bis zu 10.000 Euro kosten. "Welche Zustände auf der Ladefläche herrschen, interessiert den Schleuser nicht", so Polizist Ehrlich. Menschen auf Ladeflächen, in dunklen Lkw – das weckt Erinnerungen an den tragischen Tod von Geflüchteten in einem Kühllaster in Österreich im August 2015. Die Menschen aus Irak, Afghanistan, Syrien und dem Iran wollten von Ungarn nach Österreich reisen. Der Laderaum des Fahrzeugs war luftdicht verschlossen, der Wagen am Straßenrand einer Autobahn abgestellt. Im Inneren fanden die Ermittler die Leichen von 71 Menschen.Flüchtlingsrat empört über InnenministerAuch bei den aktuellen Fällen greifen die Bundespolizisten die Geflüchteten oft unter katastrophalen Zuständen auf. "Viele sind erschöpft und wirken apathisch", erklärt Polizeisprecher Ehrlich die Situation der Flüchtlinge. "Sie reißen während der Fahrt die Gummidichtung aus den Türen, um mehr Luft zu bekommen."Für den Sächsischen Flüchtlingsrat ist das Problem die Debatte um Migration, und dass Migration als Gefahr dargestellt wird. "Der Innenminister befeuert das Narrativ, Sachsen komme an seine Grenzen", sagt Osman Oguz im Gespräch mit t-online. Er bestätigt, dass die Fluchtmigration stark zugenommen habe. Oguz betont, kein Mensch fliehe freiwillig. "Verstärkte Grenzkontrollen führen dazu, dass Menschen alternative Wege suchen, die meist noch unwürdiger und grausamer sind."