Volker Wissing droht mit Fahrverboten: "Das ist arg daneben"
1973 gab es während der Ölkrise in Deutschland autofreie Sonntage. Im Ringen um eine Reform des Klimaschutzgesetzes warnt Verkehrsminister Wissing nun vor ähnlichen Einschränkungen – und erntet scharfe Kritik. Mit einer Warnung vor möglichen Wochenendfahrverboten hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing den Ampelstreit über das Klimaschutzgesetz angeheizt – und zugleich heftige Kritik sowohl aus der Koalition als auch aus der Opposition hervorgerufen. Die Grünen reagierten empört auf Wissings Vorstoß: "Der Verkehrsminister kann seine politische Verantwortung nicht auf die Bürgerinnen und Bürger abschieben", sagte die Klimapolitikerin der Grünen Lisa Badum t-online. "Hätte er bereits 2021 ein Tempolimit eingeführt, hätte er die heutige Lücke geschlossen. Stattdessen behauptete er, es gäbe nicht genügend Verkehrsschilder dafür." Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Stefan Gelbhaar, sagte t-online: "Dass der Verkehrsminister mit Fahrverboten droht, ist arg daneben." Er kritisierte: "Aus dem gleichen Ministerium kam in den letzten Jahren immer wieder die Behauptung, es ginge auch mit 'Bordmitteln', quasi einfach so und ohne echtes Programm." Die Fraktionschefin der Grünen, Katharina Dröge, sagte: "Es ist nicht verantwortungsvoll für einen Minister, unbegründete Ängste zu schüren. Stattdessen sollte Volker Wissing seine Aufgabe wahrnehmen und endlich sinnvolle Vorschläge für mehr Klimaschutz im Verkehrssektor machen." Es gebe genug Maßnahmen. "Und wir warten seit zwei Jahren darauf, dass der Verkehrsminister handelt." Auch aus der Opposition gibt es Kritik an Wissing, der am Donnerstag per Brief an die Koalitionsfraktionen vor Fahrverboten gewarnt hatte, sollte die Reform des Klimaschutzgesetzes im Bundestag nicht bald beschlossen werden. Unionsfraktionsvize Jens Spahn sagte t-online: "Die FDP hat sich in der Ampel völlig verrannt." Wissings Drohung folge dem Motto: "Erst verloren sie das Ziel aus den Augen und dann erhöhten sie die Geschwindigkeit. Fakt ist: Die Ampel bricht seit zweieinhalb Jahren das Klimaschutzgesetz. Und hat offenbar nicht die Kraft, daran etwas zu ändern." Ampel will Klimaschutzgesetz erneuern Anlass für die aktuelle Diskussion ist der Bericht des Expertenrats zu Klimafragen, der am Montag erscheint – und der voraussichtlich aufzeigen wird, dass Wissing im Verkehrsbereich nach aktuellem Recht erhebliche Reduzierungen bei klimaschädlichen Emissionen herbeiführen muss. Hintergrund dafür ist das Klimaschutzgesetz, in dem die deutschen Klimaziele verbindlich geregelt sind. Es sieht vor, dass die Emissionen von klimaschädlichen Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Für einzelne "Sektoren" wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude legt das Gesetz dabei zulässige Höchst-Emissionen fest. Verfehlt ein Sektor sein Ziel, müssen die zuständigen Ministerien der Bundesregierung nach derzeitigem Recht in Form von Sofortprogrammen nachsteuern. Die Bundesregierung will das ändern: Ihr Gesetzentwurf zur Änderung des Klimaschutzgesetzes sieht vor, dass die Einhaltung der Klimaziele künftig nicht mehr rückwirkend nach den verschiedenen Sektoren kontrolliert wird – sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Und: Die Bundesregierung soll künftig als Ganzes entscheiden, in welchem Sektor und mit welchen Maßnahmen die zulässige CO₂-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll. Allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt. Keine Sektorenziele mehr? Der Clou, vor allem aus Sicht von Wissing und der FDP: Die alleinige Verantwortung zur Emissionsminderung in den einzelnen Sektoren wird damit abgeschafft. Wenn in einem Sektor die Ziele gerissen werden, können andere aushelfen. Vorschläge für weitere Maßnahmen sollen anschließend "alle zuständigen Bundesministerien" liefern – "und insbesondere jene, in deren Zuständigkeit die Sektoren liegen, die zur Überschreitung beitragen". Nur: Was heißt das genau? Die Grünen dringen darauf, die Verantwortung der Ministerien, die zu wenig leisten, weiterhin möglichst eng zu fassen. Die Verhandlungen im Bundestag ziehen sich bereits seit der ersten Lesung Ende September. Wissing macht deshalb nun Druck und zeigt auf, was aus seiner Sicht die Konsequenzen wären: Bleibt das Gesetz länger so, wie es derzeit ist, drohten Fahrverbote, um die Auspuffgase in der Luft zu reduzieren. Seine Logik verteidigte Wissing am Freitagmorgen im Deutschlandfunk gegen Kritik: Die Sektorbetrachtung im derzeit geltenden Klimaschutzgesetz führe dazu, "dass wir 22 Millionen CO₂-Äquivalente sofort einsparen müssten". "Und 'wir' sind in dem Fall alle Bürgerinnen und Bürger, die betroffen sind von Autoverkehr, von Lieferverkehr – im Grunde genommen jede und jeder von uns", so der FDP-Politiker. Solche Einsparungen seien mit einem Tempolimit oder mit sonstigen Maßnahmen nicht zu erreichen, sondern ad-hoc nur mit dem Verzicht auf das Auto und den Lkw. Ein Tag Fahrverbot am Wochenende würde nur etwa die Hälfte der nötigen Einsparverpflichtungen bringen, "sodass wir also zwei Tage pro Woche dauerhaft und unbefristet verzichten müssten" auf Auto und Lkw. Grünen-Verkehrspolitiker Gelbhaar widersprach deutlich. "Selbst die gerichtliche Verpflichtung, endlich ein ordentliches Klimaschutzprogramm vorzulegen, beinhaltet null die Verpflichtung zu Fahrverboten", sagte er t-online. "Insofern betreibt Volker Wissing da eine gefährliche Desinformation." Es lägen schon lange zahlreiche ernsthafte Maßnahmen auf dem Tisch, sagte Gelbhaar. Die "viel zu hohen Emissionen" machten ein Bündel notwendig: "Ausbau von Bus, Bahn und Fahrrad, Förderung von E-Mobilität, Ladeinfrastruktur und Sharing. Abbau klimaschädlicher Subventionen, Umbau der Dienstwagenbesteuerung. Erhalt vor Neubau." Grünen-Klimapolitikerin Badum kritisierte: "Das Straßenverkehrsgesetz hängt seit Monaten im Bundesrat , ohne dass er sich einsetzt. Und bei den letzten Haushaltsberatungen hat er die Axt an Mittel für Rad und Bahn gesetzt, statt endlich bei der Straße zu kürzen." FDP springt Parteikollegen Wissing bei Beistand bekam Wissing am Freitag aus der eigenen Partei. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte die Grünen dazu auf, das Klimaschutzgesetz im Parlament nicht länger aufzuhalten. "Die Grünen müssen ihre Blockade bei der Reform des Klimaschutzgesetzes endlich aufgeben", sagte er t-online. "Ansonsten nehmen sie alle Bürgerinnen und Bürger sowie unsere Wirtschaft in Geiselhaft." Die Koalition habe sich schon "vor Monaten" darauf verständigt, die Sektorbetrachtung aufzuheben. "Es gibt keinen Grund, das Verfahren weiter mutwillig zu verzögern." Ähnlich äußerte sich auch Carina Konrad, FDP-Fraktionsvize und zuständig für Verkehrspolitik. Im Gespräch mit t-online sagte sie: "Mit der FDP wird es keine Fahrverbote geben." Deutschland habe seine Klimaziele erreicht. "Deshalb wären diese Einschnitte im Verkehrssektor nicht nur völlig unverhältnismäßig, sondern der volkswirtschaftliche Schaden wäre gesellschaftlich und wirtschaftlich Gift."