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Top-Ökonom über Dauer-Krise: "Angeschmiert sind die kurz vor der Rente"

Deutschland in der Dauerkrise: Die Wirtschaft schwächelt und dem Staat fehlt es an Geld. Kriegen wir noch die Kurve? Ein Gespräch mit dem Top-Ökonomen Clemens Fuest. Es läuft nicht rund in Deutschland. Während andere Länder wachsen, tritt die deutsche Wirtschaft auf der Stelle und fällt damit im Vergleich zurück. Gibt es noch Hoffnung auf Besserung? Und wenn ja, was braucht es dafür? t-online hat darüber mit Clemens Fuest gesprochen, einem der bekanntesten Volkswirte des Landes. Im Interview erklärt der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, welche Folgen die Heim-EM für Deutschland hat, kritisiert die Renten-Pläne der Ampelkoalition – und erläutert, warum Kanzler Olaf Scholz in einem entscheidenden Punkt doch recht behalten könnte. t-online: Herr Fuest, nach zwei Siegen steht die Nationalelf im Achtelfinale. Wie groß sind die Chancen auf ein zweites Sommermärchen? Clemens Fuest : Im Fußball könnte Deutschland tatsächlich ein Sommermärchen erleben – für die Wirtschaft erwarte ich aber kaum positive Impulse von der Heim-EM. Warum? Der ökonomische Effekt solcher Sportevents ist zu klein. Daten aus der Vergangenheit zeigen: Zu einer Europameisterschaft kommen zwar ein paar Hunderttausend Fans ins Land, die hier essen, trinken, übernachten. Doch in den Spielorten treibt das die Hotelpreise so hoch, dass andere Touristen deshalb wegbleiben. Das gleicht sich also aus. Und auch der Einzelhandel profitiert nur sehr kurz von der EM: Nach unseren Schätzungen steigen die Konsumausgaben um etwa eine Milliarde Euro. Das ist nicht nichts, aber eben auch nicht sehr viel. Aber die Stimmung im Land dürfte sich doch wenigstens verbessern. Sicher, der Fußball lenkt eine Zeitlang von unseren Problemen ab. Das tut Deutschland gut. Aber gelöst sind die Probleme deshalb nicht. Eines der drängendsten ist die Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland rutscht in dieser Hinsicht immer weiter ab. Kriegen wir noch die Kurve? Für diese Antwort muss ich ein bisschen ausholen, deshalb vielleicht die gute Nachricht in Kürze vorweg: Ja, wir können es schaffen. Wir haben alle Voraussetzungen, um unsere Herausforderungen zu meistern. Aber? Die schlechte Nachricht ist: Uns treffen sehr viele Krisen zur selben Zeit. Die Alterung der Gesellschaft, der Rückgang an Arbeitskräften, die Klimakrise und der damit notwendige Umbau unserer Industrie. All das ist schon extrem anstrengend. Und dann verteuert der Wegfall der Gasimporte aus Russland noch die Energieversorgung, und wachsende geopolitische Spannungen beeinträchtigen den internationalen Handel. Wir sind weit stärker als andere Länder von Exporten und Importen abhängig. Die neuen Kriege und geopolitischen Spannungen bedeuten zusätzlich, dass wir mehr Ressourcen für Verteidigung einsetzen müssen. Wie kann es sein, dass uns all diese Dinge jetzt auf einmal so hart treffen? Nicht alles, aber vieles davon war absehbar. Deutschlands Abstieg ist nicht überraschend, vor allem wenn wir uns die Bevölkerungsentwicklung ansehen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben von Jahr zu Jahr immer mehr Menschen gearbeitet, dadurch konnten wir wachsen. Nun dreht sich dieser Trend: Es arbeiten künftig weniger Menschen, aus Rückenwind wird Gegenwind. Die Wirtschaftspolitik ist geprägt von langen Zyklen. Mal nimmt sich der Staat eher zurück, etwa in der Periode, die mit Ronald Reagan und Margaret Thatcher begann und mit Tony Blair und Gerhard Schröder endete. Und dann gibt es Phasen wie die Merkel-Jahre, die von einem größeren Staat geprägt sind. Erleben wir gerade das Ende eines solchen Etatismus-Zyklus – braucht es jetzt wieder eine neue Agenda-Politik? Zunächst einmal teile ich diese Diagnose. Wir stehen am Ende eines solchen Zyklus, der mit fast 20 Jahren sogar recht lang war. In ganz Europa war das Mantra: Der Staat beschützt uns, er schirmt uns ab vor den Krisen der Welt. Das war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, jetzt aber scheint das auch in der Politik immer mehr Leuten klar zu werden. Ich erwarte aber nicht, dass das Pendel deshalb wieder komplett zurückschwingt in die Agenda-Zeit der ausklingenden 90er-Jahre. Und das sollte es auch nicht. Sondern? Wir brauchen heute eine kluge Kombination aus staatlichem und privatem Handeln. Nur so werden wir der großen Probleme wirklich Herr. Geht es etwas konkreter? Nehmen Sie als Beispiel die Klimapolitik. Uns allen ist klar: Wir müssen weniger CO2 ausstoßen, sonst ist der Planet irgendwann unbewohnbar. Um dieses Problem zu lösen, wäre es gut, wenn zunächst der Staat harte Vorgaben macht bei der Menge des CO2, das jährlich ausgestoßen werden darf – die Verteilung dieser Emissionen dann aber dem Markt überlässt. Sie meinen den Handel mit CO2-Zertifikaten. Richtig. Bestenfalls senkt der Staat die CO2-Menge von Jahr zu Jahr, wodurch die Zertifikate von selbst teurer werden. Das macht Investitionen in nachhaltige Fabriken attraktiver, weil die den Firmen bares Geld sparen. Gleiches gilt etwa für den Autoverkehr. Man braucht dann gar kein festgelegtes Verbrenner-Aus. Mit der Zeit werden die Menschen von selbst E-Autos kaufen, weil Benzin immer teurer wird. Und was machen wir, wenn die Mehrheit sagt: "Ich will kein E-Auto, ich will billigen Sprit?" Dann gibt es eben auch keinen CO2-Preis und keinen Klimaschutz, so ist das in der Demokratie. Aber: Umfragen zeigen, dass die Mehrheit so nicht denkt. Und denen, die das doch so sehen, müssen wir die Konsequenzen noch besser erklären. Mein Credo ist: Man darf die Wähler nicht für dumm verkaufen. Politiker tun gut daran, den Wählern die Wahrheit zuzumuten. Und eine solche ist: Klimaschutz gibt's nicht umsonst, er kostet Geld. Aber wenn wir ihn nicht weltweit anpacken, nehmen die Umweltschäden zu, auch das hat sehr hohe Kosten. Es gibt noch ein weiteres Feld, bei dem die Politik eher kurzfristig auf die nächste Wahl schielt, nämlich die Rentenpolitik . Was halten Sie vom jüngst vorgestellten Rentenpaket der Ampel? Das Rentenpaket II macht deutlich, welche Prioritäten die Regierung setzt: Es wird beklagt, dass nicht genug Geld für Investitionen da sei, aber man priorisiert Konsum. Statt zu investieren erhöht sie die Renten gegenüber den bisherigen Zusagen, auf Kosten der Jüngeren. Aus Sicht der Politik mag das rational sein – es geht darum, die nächsten Wahlen zu gewinnen. Zukunftsorientiert ist diese Politik jedoch nicht. Ein harter Vorwurf. Aber kein falscher. Die Regierung tut damit so, als gäbe es unendlich Geld, mit dem wir das System stützen können. Das ist ein Trugschluss. Wir kommen nicht drum herum, die Lasten zu verteilen, wir müssen an mehreren Stellschrauben drehen: Die Zahl der Erwerbstätigen, das Renteneintrittsalter , die Rentenhöhe und die Steuerzuschüsse versus die Beitragsfinanzierung. Eine Patentlösung gibt es nicht – es braucht ein Zusammenspiel. Und wofür sind Sie? Wie die Lasten des demografischen Wandels verteilt werden sollten, kann nicht wissenschaftlich entschieden werden, das ist eine politische Wertung. Klar ist aber, dass die Verteilungswirkungen unterschiedlicher Anpassungen berücksichtigt werden müssen. Nehmen Sie etwa das Renteneintrittsalter: Erhöhen wir es, begünstigen wir alle aktuellen Rentner, weil sie nicht mehr betroffen sind. Wir belasten jedoch vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen, die noch nicht im Ruhestand sind. Denn die haben statistisch betrachtet auch eine niedrigere Lebenserwartung – und verlören so einen größeren Teil ihrer Zeit als Rentner mit längerer Lebenserwartung. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ist bei insgesamt steigender Lebenserwartung plausibel, wäre als einzige Maßnahme zur Sanierung der Rentenkasse jedoch sehr einseitig belastend. Aber? Trotzdem wird die Politik das Renteneintrittsalter wohl erhöhen, eben weil das der wachsenden Gruppe derjenigen, die schon Rentner sind, nützt. Angeschmiert sind vor allem die, die kurz vor der Rente sind. Rentenkürzungen würden die Lasten breiter verteilen und Menschen mit längerer Lebenserwartung stärker beteiligen. Derzeit verhandelt die Ampelregierung über den Haushalt, wobei SPD und Grüne immer wieder mehr Schulden ins Spiel bringen, um die Staatsausgaben zu finanzieren. Eine gute Idee? Bevor man mehr Schulden macht, sollte man Ausgaben umschichten. Allenfalls ergänzend sollte man mehr Schulden machen. Die Politik bürdet den künftigen Generationen schon heute hohe Lasten auf. Zudem gilt: In einer weitgehend vollbeschäftigten Volkswirtschaft , wie wir sie aktuell in Deutschland haben, kann man durch Verschuldung wenig gewinnen. Warum? Weil es keine zusätzlichen Arbeitskräfte gibt, die sich mit dem Geld aktivieren lassen. Also Menschen, die zum Beispiel eine Autobahn bauen könnten. Wenn die Politik mehr Schulden macht und das Geld ausgibt, obwohl es nicht genug Kapazitäten, also Arbeitskräfte gibt, treibt das nur die Preise hoch. Außerdem sind die bestehenden Schulden bei einer schrumpfenden Bevölkerung sowieso schon ziemlich belastend, weil sich die Last auf weniger Schultern verteilt. Dadurch steigt das Risiko, dass sich Deutschland irgendwann übernimmt. Der Kanzler scheint darauf zu wetten, dass nächstes Jahr die Wirtschaft wieder in Schwung kommt und die Deutschen eine positive Bilanz der Ampelregierung ziehen. Kann das aufgehen? Damit könnte der Kanzler am Ende recht behalten. Auch unsere Prognose sagt, es kommt zu einer wirtschaftlichen Erholung. Allerdings gibt es noch viele Risiken. Was noch nicht eingepreist ist, sind die erwartbaren Kürzungen im Haushalt 2025. Das heißt, auch Sie würden der Ampel ein gutes Zeugnis ausstellen? Die Bilanz der Bundesregierung bis hierher ist durchwachsen. Die Ausläufer der Corona-Pandemie, der russische Angriff auf die Ukraine , die Energiekrise – die Ampel musste sehr viele Krisen managen. Das hat sie gut gemacht, finde ich. Auf der anderen Seite gilt auch: Die Ampel hat kein Konzept dazu entwickelt, wie Deutschland die großen ökonomischen Herausforderungen bewältigen soll. Das ist zwar auch den Vorgängerregierungen nicht gelungen, bei der aktuellen Regierung fällt das aber stärker auf, weil die Zeiten schwieriger sind. Die Ampel war stark mit kurzfristigem Krisenmanagement beschäftigt – und mit sich selbst. Gibt es denn auch Positives, das Sie der Ampel abgewinnen können? Doch. Die Ampel hatte mehr Ansätze zu strukturellen Veränderungen als ihre Vorgänger. Sicher: Das Heizungsgesetz kann man sehr kritisch sehen. Allerdings hat es der Bevölkerung verdeutlicht, dass Dekarbonisierung etwas kostet. Die Debatte darüber ist wichtig. Insofern hat die Ampel so etwas wie einen gesellschaftlichen Reifungsprozess angestoßen, auch auf anderen Gebieten. Auf welchen noch? Ein anderes Beispiel ist die Verteidigungspolitik. Als Gesellschaft haben wir gelernt: Diplomatie ohne militärische Macht ist gegenüber Russland wirkungslos. Sie funktioniert nur, wenn sie durch militärische Macht flankiert ist. Wir haben es mit globalen Herausforderungen zu tun, die wir nur gemeinsam angehen können. Ein Beispiel für gemeinsames Handeln ist das Bundeswehr-Sondervermögen, bei dem von Anfang an Regierung und Opposition zusammengearbeitet haben. So wichtig Konkurrenz der Parteien ist, in manchen Fällen brauchen wir auch Bereitschaft zu parteiübergreifender Kooperation. Herr Fuest, vielen Dank für dieses Gespräch.