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Frankreich vor der Unregierbarkeit nach Wahlen: diese Szenarien drohen

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser, bei einem Umzug geht selten alles glatt. Schwitzend schleppt man das Riesensofa durch das enge Treppenhaus hinauf, bis man die scharfe Kurve auf dem Treppenabsatz erreicht: Zwischen Geländer und Wand ruckelt man hin und her – aber irgendwann steckt das blöde Ding diagonal in der Ecke und will nicht vor und nicht zurück. Nach einigen erbosten Versuchen in die andere Richtung merkt man, dass man das Sofa die Treppe auch nicht mehr herunterbekommt. Wie kann das sein? In die Klemme hinein ging das Ding doch auch ganz fix! Der Élysée-Palast in Paris ist weniger für beengte Hausflure, sondern eher für pompöse Freitreppen bekannt, über die seine Exzellenz Präsident Macron würdevoll aufwärts schreitet. Bei vergangenen Wahlen hat es ihm gefallen, sich zum "Jupiter" zu stilisieren, dem Göttervater der römischen Mythologie. Aus den unteren gesellschaftlichen Etagen ist nun selbst bis zu ihm heraufgedrungen, dass sein großspuriges Auftreten keine Fans mehr hat. An diesem Sonntag gehen die Parlamentswahlen in Frankreich in die entscheidende zweite Runde. Anschließend wird unser Nachbarland eine neue Richtung nehmen, soviel ist sicher. Schwungvoll aufwärts gehen wird es aber nicht. Egal, welche Prognose sich bewahrheitet: Mit einem jupiterhaften Aufstieg dürfte das Wahlergebnis nichts zu tun haben. Mit einem steckengebliebenen Sofa schon eher. Schon die erste Runde der Parlamentswahlen hat mehrere außergewöhnliche Resultate hervorgebracht. Der rechte Rand unter Führung von Marine Le Pen ist endgültig kein Rand mehr, das ist die erste Erkenntnis. Ihr Erdrutschsieg steht aber noch unter Vorbehalt. Denn zur absoluten Mehrheit mit mehr als der Hälfte der Stimmen hat es in den meisten Wahlkreisen nicht gereicht. Das ist die zweite Besonderheit des bisherigen Abstimmungsverlaufs: die schiere Masse an Wahlkreisen, in denen ein zweiter Wahlgang nötig ist und in denen es nicht zwei, sondern sogar drei Kandidaten in die Stichwahl geschafft haben. Macrons Mitte und das Linksbündnis kooperieren jetzt in vielen dieser lokalen Rennen, um sich nicht gegenseitig die Stimmen wegzunehmen. Dort tritt also Rechts gegen Nicht-Rechts als klare Alternative für die Wähler an. Offen bleibt, ob die Wähler den Deal der Moderaten und Linken mittragen oder lieber zu Hause bleiben, weil ihr Wunschkandidat auf das zweite Rennen verzichtet hat. Was am Sonntag herauskommt, bleibt deshalb bis zur letzten Minute offen. Sollte Le Pens Truppe tatsächlich das Parlament beherrschen, werden wir bald Feinheiten der französischen Verfassung kennenlernen, von denen man bisher kaum etwas ahnte. Von Berlin bis Brüssel beruhigt man sich damit, dass Präsident Macron weiterhin die Außenpolitik bestimme und nicht etwa der Premierminister, den womöglich bald das ultrarechte Lager stellt. Auch beim Militär hat der Präsident als Oberbefehlshaber das Heft in der Hand. Soweit alles in Butter, könnte man meinen, doch die Sache hat einen Haken: Der Text der Verfassung lässt Klarheit vermissen. Madame Le Pen hat deshalb darauf hingewiesen, dass die Rolle des Oberbefehlshabers bloß ein "Ehrentitel" des Präsidenten sei. Macron nimmt den Sprengstoff dieser Worte sehr ernst: Hektisch hat er mehrere offene Führungspositionen besetzt, solange er das noch ohne Sabotage von rechts außen tun kann. Das schaurige Spektakel, das sich innenpolitisch anbahnt, setzt sich auf europäischer Ebene fort: Zwar dürfte Macron im Falle einer Cohabitations-Regierung mit dem Rassemblement National weiterhin im Rat der Staats- und Regierungschefs für seine Initiativen werben – doch bei Beratungen der Außen-, Verteidigungs- und sonstiger Minister würden Leute von Le Pen zur Abstimmung die Hand heben (oder eben nicht). Der Ukraine mag der Göttervater Kampfjets und Marschflugkörper zusichern, aber das Geld dafür müsste ein rechtsdominiertes Parlament abnicken (oder eben nicht). Kurzum: Europa hätte es nach einem Wahlsieg der Rechten nicht mit einem Frankreich zu tun, sondern mit zweien. Die beiden Versionen der französischen Außenpolitik würden sich in Brüssel sabotieren, wo es nur geht. Was das bedeutet? Stillstand in der EU, das bedeutet es. Und das in Zeiten multipler Krisen, von der Ukraine über das Klima bis zu einer drohenden Trump-Präsidentschaft. Apropos Stillstand: Wahrscheinlicher als der rechte Marsch durch die Institutionen ist laut Prognosen ein Patt, bei dem es für keine Regierungsmehrheit reicht. Hier die Rechtspopulisten, dort das Linksbündnis, in der Mitte der Rest der Macronisten, alle hassen sich und niemand regiert. Die Verfassung regelt das dann so: Der Präsident kann weiterhin nach Belieben Premierminister berufen. Das Parlament kann sie bei vielfältigen Anlässen wieder abservieren. Mehrheiten für Gesetze: keine. Premierminister: viele. Frust in der Öffentlichkeit: riesig. Man werde sich auch ohne eigene Mehrheit um Partner bemühen, um zu regieren, heuchelt Le Pen vorausschauend. Hinterher kann sie dann sagen: An uns lag es nicht. Während ein Sieg der Ultrarechten den Schrecken schnell beginnen lässt, birgt ein Patt im Parlament schleichenden Horror. Denn wenn demokratische Institutionen handlungsunfähig sind, fällt das auf die Demokratie insgesamt zurück. Es wäre die perfekte Steilvorlage für die Populisten. Nun lasst uns doch wirklich mal machen, ohne die anderen Bremser, die nicht über ihren Schatten springen und uns nicht zum Wohle Frankreichs die Hand reichen wollten: So könnte Le Pen dann für sich werben, wenn es 2027 ums Ganze geht und ihr Einzug in den Präsidentenpalast zum Greifen nah wäre. Kurzfristig mag ein Patt im Parlament am Sonntag daher als das kleinere Übel erscheinen, doch auf Dauer bringt es die ganze Republik in Gefahr. Aus Erfahrung wissen wir, dass das verkeilte Sofa im Hausflur nur selten dauerhaft steckenbleibt. Aus der Ecke, in die Frankreichs Politiker und Wähler das Land gemeinsam manövriert haben, kommt man allerdings tatsächlich fast unmöglich wieder heraus. Optimisten hoffen auf ein Zerbröseln des linken Bündnisses, wo man sich gegenseitig sowieso nicht riechen kann. Die gemäßigten Teile der Linken könnten sich anschließend mit der Mitte und den So-gerade-noch-nicht-Rechtsaußen zu einer erzwungenen parlamentarischen Zusammenarbeit zusammenraufen. Dass das Wahlergebnis eine solche Mehrheit überhaupt hergibt, ist leider nicht zu erwarten. Auch das Wutgeheul der ausgebooteten Le-Pen-Wähler ließe für die Zukunft nichts Gutes erwarten. Angesichts der Alternativen kann man von diesem Ausgang trotzdem nur träumen. Die Franzosen gestalten jedenfalls am Sonntag ihr politisches Zuhause vollständig um. Danach werden sie merken: Wer das Sofa im Hausflur steckenlässt, wird auf einem kalten und sehr harten Boden Platz nehmen müssen. Wahlbeben in Großbritannien Die Briten haben schon gewählt, und das Ergebnis ist ein politischer Erdrutsch: Laut Prognose erhält die Labour-Partei 410 der 650 Sitze. Die Konservativen kommen auf 131. Damit endet für die Partei des amtierenden Premierministers Rishi Sunak eine 14-jährige Periode der Regierungsführung. Apropos: Wenn Sie wissen möchten, warum Millionen Briten so ungeheuer erbost über die bisherige Tory-Regierung sind: Schauen Sie sich diese vier Minuten an (Ton unten rechts auf dem Bild anklicken). EM-Kracher gegen Spanien Wird es der letzte Auftritt im DFB-Dress für die 2014er-Weltmeister Manuel Neuer, Toni Kroos und Thomas Müller? Schließlich hat Deutschland gegen Spanien seit 36 Jahren kein Pflichtspiel mehr gewonnen, und das Team um die spanischen Jungstars Lamine Yamal und Nico Williams liefert bei der Europameisterschaft begeisternde Leistungen ab. Oder gelingt es der Auswahl von Bundestrainer Julian Nagelsmann heute ab 18 Uhr in Stuttgart (live in der ARD), die Partie an sich zu reißen, wie es unser Kolumnist Stefan Effenberg fordert? In jedem Fall ist das Viertelfinalduell gegen Spanien der bislang größte Kracher des Turniers. Unser Reporter Noah Platschko berichtet aus dem Stadion. Mit wem es der Sieger im Halbfinale zu tun bekommt, wird dann ab 21 Uhr in Hamburg ausgespielt: Dort treten Portugal und Frankreich gegeneinander an. EU gegen China Die EU-Kommission macht Ernst: Ab heute müssen Importeure, die Elektroautos aus China im EU-Binnenmarkt verkaufen wollen, bis zu 37,6 Prozent zusätzlich bezahlen – zumindest vorläufig. Die endgültige Einführung der Strafzölle soll nach einer viermonatigen Frist Anfang November erfolgen, wenn China keine Zugeständnisse macht. Bis dahin muss der Zollwert nur in Form von Sicherheiten hinterlegt werden. Der Hintergrund: Die Chinesen subventionieren ihre E-Auto-Produktion massiv. Einer Studie zufolge hat Peking die heimische Industrie in den vergangenen 15 Jahren mit sage und schreibe 230 Milliarden Dollar unterstützt. Die kriselnden deutschen Autobauer finden den Schritt, der sie vor Wettbewerbsverzerrung schützen soll, trotzdem doof: Sie befürchten nicht nur Vergeltungsstrafen Chinas, sondern sind teils selbst von den Zöllen betroffen, weil sie im Riesenreich der Mitte für den Export produzieren. Bleibt zu hoffen, dass die Verhandlungen zwischen EU-Kommission und Pekinger Handelsministerium doch noch zu einer Kompromisslösung führen. Ohrenschmaus Der gestrige Ohrenschmaus erfreute mehrere Kollegen. Als ich sie an einen anderen Song der betreffenden Band erinnerte, hatten sie prompt einen Ohrwurm. Sie auch? Lesetipps Die politische Landkarte Europas färbt sich neu ein. Ultrakonservative bis rechtspopulistische Regierungen übernehmen das Ruder. Das hat einen Grund, schreibt unser Politikchef Christoph Schwennicke. Über wenige Projekte hat die Ampelkoalition so erbittert gestritten wie über die Kindergrundsicherung. Nach Monaten zeichnet sich nun eine überraschende Lösung ab, berichten unsere Reporter Johannes Bebermeier, Florian Schmidt und Daniel Mützel. Die AfD will sich professionell geben. Doch beim Sommerfest der Bundestagsfraktion kam es zu einem Eklat, weiß unsere Reporterin Annika Leister. Gesperrte Fan-Meilen, ein unterbrochenes EM-Spiel: Die Klimakrise gefährdet auch den Sport. Unsere Kolumnistin Sara Schurmann erklärt, was zu tun ist. Zum Schluss In Washington reift die Erkenntnis. Ich wünsche Ihnen einen dynamischen Tag. Herzliche Grüße Ihr Florian Harms Chefredakteur t-online E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de Mit Material von dpa. Den täglichen Tagesanbruch-Newsletter können Sie hier kostenlos abonnieren. Alle Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier . Alle Nachrichten lesen Sie hier .