Ringen um Waffenruhe im Gaza-Krieg geht weiter
Die Aussichten auf einen Durchbruch bei den Verhandlungen in Doha sind gering, die Gefahr eines Flächenbrands bleibt. Die Gewalt geht weiter - auch im Westjordanland. Nach dem Auftakt der Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg klafft zwischen den Positionen Israels und der islamistischen Hamas weiter eine Kluft. Es wird erwartet, dass die Gespräche unter Vermittlung der USA , Katars und Ägyptens heute in Katars Hauptstadt Doha fortgesetzt werden. Die Hoffnung auf einen Durchbruch ist gering. Über die Positionen beider Konfliktparteien in den indirekt geführten Verhandlungen entscheiden letztlich vor allem Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der Anführer der Hamas, Jihia al-Sinwar. "Ich glaube nicht, dass man die tiefe Kluft zwischen diesen beiden überwinden kann", sagte Michael Milshtein, ein ehemaliger Leiter der Palästinenserabteilung des israelischen Militärgeheimdienstes, dem "Wall Street Journal". "Leider sind sie die wichtigsten Entscheidungsträger auf beiden Seiten." Militante jüdische Siedler greifen Dorf im Westjordanland an Für Entsetzen und Empörung sorgte unterdessen ein Angriff militanter jüdischer Siedler auf ein Dorf im besetzten Westjordanland. Dabei wurde nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums ein 22-jähriger Palästinenser getötet. Dutzende maskierte Siedler stürmten die palästinensische Ortschaft Dschit, zehn Kilometer westlich von Nablus, und steckten mindestens vier Häuser und sechs Autos in Brand, wie die "Times of Israel" unter Berufung auf eine Quelle im israelischen Sicherheitsapparat berichtete. Mehr als 100 Menschen sollen involviert gewesen sein. Israelische Sicherheitskräfte seien daraufhin erschienen und hätten die Siedler vertrieben, hieß es in israelischen Medien. Der "Times of Israel" zufolge soll die Armee einen Israeli festgenommen und der Polizei übergeben haben. "Gewaltsame, radikale Ausschreitungen sind das Gegenteil von allem, was der israelische Staat an Kodex und Werten hochhält", schrieb der israelische Verteidigungsminister Joav Galant auf der Plattform X. Er werde das Militär und die Ermittlungsbehörden bei "der Bewältigung dieses Problems" unterstützen. Das Amt von Ministerpräsident Netanjahu teilte mit, der Regierungschef nehme die Ausschreitungen "äußerst ernst". Die Verantwortlichen würden gefasst und vor Gericht gestellt werden. Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid verurteilte den Gewaltausbruch. Damit sei ein "moralischer Tiefstpunkt" erreicht worden, zitierten ihn Medien. "Mit Judentum hat das nichts zu tun." Seit Beginn des Kriegs im Gazastreifen nach dem Massaker von Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober vergangenen Jahres hat sich die Lage im Westjordanland weiter deutlich zugespitzt. 605 Palästinenser wurden seither nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Westjordanland bei israelischen Militäreinsätzen, Konfrontationen oder eigenen Anschlägen getötet. Es kam auch verstärkt zu Gewalt von Siedlern gegen Palästinenser. Demonstration in Tel Aviv für Geiselabkommen Derweil demonstrierten vor dem Hintergrund der laufenden Gespräche über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg Angehörige von Geiseln und Sympathisanten in Tel Aviv für schnelle Ergebnisse. Teilnehmer des Marsches durch die Innenstadt der Küstenmetropole riefen Medienberichten zufolge an die israelischen Verhandler gerichtet: "Kommt nicht heim ohne einen Deal!" Die Gespräche in Doha haben neben einer Waffenruhe auch die Freilassung von 115 Geiseln in der Gewalt der Hamas im Austausch gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen zum Ziel. Die Hamas nimmt an den Verhandlungen nicht teil, soll nach dpa-Informationen aber laufend über deren Inhalt informiert werden. Der Druck auf die Verhandlungsführer ist noch gestiegen, weil nach der Tötung zweier wichtiger Gegner Israels ein möglicherweise schwerer Vergeltungsangriff des Irans sowie der Hisbollah-Miliz im Libanon auf Israel erwartet wird. US-Präsident Joe Biden hatte schon im Mai von einem "entscheidenden Moment" für die Verhandlungen gesprochen. Die Chancen, seinen in drei Phasen unterteilten Plan umzusetzen, gelten aber als gering. Die Kluft zwischen den Parteien sei "nach wie vor groß", sagte ein ranghoher ägyptischer Beamter dem "Wall Street Journal". Man bemühe sich aber um einen Konsens, sagte er demnach am Abend des ersten Verhandlungstages in Doha. Hamas: Wollen keine neuen Bedingungen aushandeln Die Hamas werde keine neuen Bedingungen aushandeln, sagte ihr Sprecher Osama Hamdan der dpa. Es dürfe nur um die Umsetzung des von Biden im Mai vorgestellten Plans gehen. Er warf Israel vor, die Verhandlungen durch neue Bedingungen zu blockieren - etwa mit der Weigerung, sich vom sogenannten Philadelphi-Korridor zurückzuziehen, der im Süden Gazas entlang der Grenze zu Ägypten verläuft. Die Hamas fordert einen kompletten Abzug Israels. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hatte dagegen gesagt, die israelische Armee müsse den Philadelphi-Korridor auch nach einer Waffenruhe weiter kontrollieren. Trotz aller Bemühungen sei es den Vermittlern nicht gelungen, die israelische Seite ausreichend unter Druck zu setzen, damit sie sich an die im Mai vorgelegten Pläne für eine Waffenruhe hält, beklagte Hamas-Sprecher Hamdan. Israel "will keine Waffenruhe". Netanjahu warf dagegen der Hamas vor, es sei vielmehr sie, die neue Bedingungen erhoben habe. Israels Generalstabschef Herzi Halevi sagte am Mittwoch bei einem Besuch am Philadelphi-Korridor, die Armee könne hier auch ohne ständige Präsenz und mit nur punktuellen Vorstößen die Kontrolle behalten. Netanjahu hält an Kriegsziel fest Israels Regierungschef Netanjahu will die Hamas militärisch zerschlagen und sicherstellen, dass sie nicht mehr in der Lage ist, den seit vielen Jahren von Israel abgeriegelten Gazastreifen zu regieren. Hamas-Anführer Sinwar wiederum setzt offenkundig darauf, dass die Hamas den Sieg erringt, indem sie als Gruppe überlebt. Er habe den Vermittlern erklärt, dass der Tod palästinensischer Zivilisten ihm zum Vorteil gereiche, weil Israel dafür international verurteilt werde, schrieb das "Wall Street Journal" kürzlich. Sinwar wird im weit verzweigten Tunnelnetzwerk der Hamas unter dem abgeriegelten Küstenstreifen vermutet. Er gilt als Drahtzieher des Terrorangriffs der Hamas und anderer Gruppen in Israel vom 7. Oktober. Dabei wurden rund 1.200 Menschen getötet und 250 weitere in den Gazastreifen verschleppt. Das beispiellose Massaker löste den Krieg aus: Israel begann mit massiven Angriffen im gesamten Küstenstreifen. Seither beläuft sich die Zahl der Opfer nach palästinensischen Angaben auf mehr als 40.000 Tote und 92.400 Verletzte. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde unterscheidet bei den unabhängig nicht überprüfbaren Zahlen nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten.