Hamburg Jungfernstieg: Anjes Tjarks über die Großbaustelle: "Bin stolz"
Der Jungfernstieg in der Innenstadt wird umfassend umgebaut. Am Prachtboulevard zeigt sich: So soll die Stadt künftig funktionieren. Diese Baustelle ist eine echte Herausforderung: Radfahrer quetschen sich in den schmalen Spuren an den Bussen vorbei, die auf dem Jungfernstieg immer wieder anhalten müssen. Fußgänger kommen nur auf Umwegen von der Alsterseite zu den Geschäften und verirren sich immer wieder auf die Fahrbahnen, die mit rot-weißen Absperrgittern umzäunt sind. Links und rechts graben und baggern Maschinen, Sand wird aufgeschüttet und Steine werden verlegt. Autos haben gar keine Zufahrt mehr zum Jungfernstieg. Und das wird auch so bleiben. Seit Jahren wird am Jungfernstieg herumgewerkelt. Erst wurden die Autofahrer verbannt, dann wurde nach Siel- und Versorgungsleitungen gegraben, und seit Anfang 2024 geht es nun an die finale Phase des Umbaus. 13,4 Millionen Euro lässt es sich die Stadt kosten, das Herzstück Hamburgs zu erneuern. Eine Mammutaufgabe – und ein großer Aufschlag von Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne). Gewinner und Verlierer am Jungfernstieg Denn am Jungfernstieg, an der "guten Stube der Stadt", wie Tjarks sagt, zeigt sich die Zukunft Hamburgs: Wie nutzen wir den öffentlichen Raum? Wie werden wir uns fortbewegen? Was wird aus Einzelhandel und Gastronomie? Dort an der Alster prallen sämtliche Interessen aufeinander. Und wo es Gewinner gibt, muss es auch Verlierer geben. Am Jungfernstieg sind das die Autofahrer. "Das private Auto benötigt nun mal am meisten Platz", argumentiert Tjarks. Und den hat er den Pkw weggenommen: Die Fahrspuren sind nur noch für Busse da, Parkflächen gibt es gar nicht mehr. Als 2020 der Autoverkehr vor die Tür gesetzt wurde, war der Aufschrei groß. Viele Autofahrer bogen einfach weiter vom Ballindamm rechts ab. Anfangs legte sich die Polizei noch auf die Lauer und hielt Tausende Autos an. Laut Polizei war die Akzeptanz der Autofahrer zu Beginn des Einfahrverbots gering. Nach Corona und mit Start der massiven Bauarbeiten ist davon nichts geblieben. Das Fahrverbot wird mehr als nur akzeptiert. Viele würden sich freuen, dass in dem Zuge auch die Autoposer-Szene von der Alster verschwunden sei, so Tjarks. Um den Jungfernstieg wirklich nachhaltig umzubauen, holte sich die Verkehrsbehörde sämtliche Gewerke an einen Tisch: Sicherheitsaspekte steuerte die Innenbehörde bei, die Betreiber von Gastro und Einzelhandel wurden genauso angehört wie Bürgerinitiativen und Tourismusexperten, selbst Landschaftsplaner wurden eingebunden. "Baumarktkästen" aus dem Raucherraum? Um in der ersten Bauphase Fakten zu schaffen, wurde zu einem ästhetisch wenig ansprechenden, aber wirkungsvollen Stilelement gegriffen: dem Pflanzkübel. CDU-Bezirkspolitiker Jürgen Henry Jacobs sei fast vom Rad gefallen, als er die großen Holzzuber das erste Mal auf dem Jungfernstieg erblickt habe, berichtete er der "Morgenpost". Unfassbar stillos würden ihn die Dinger an den Raucherraum der Studentenvertretung Asta erinnern. Doch die "Baumarktkästen" hatten viele Vorteile: Sie ließen sich flott aufstellen, waren mit insgesamt 240.000 Euro vergleichsweise günstig, verstellten den Blick nicht auf die Alster und signalisierten den Autofahrern: Für euch ist hier Schluss. "Das war ja auch nur ein temporärer Zustand", gibt der Verkehrssenator heute zu bedenken. "Die erste Phase war auch dazu da, um zu lernen, was man noch besser machen kann." Lernen musste man, dass ein wasserseitiger Fahrradweg keine tolle Idee ist, weil sich Radler und Fußgänger ständig in die Quere kamen. Lernen musste man, dass heute auch der Terrorschutz mitgedacht werden muss. Und so wurde die Sitzbank Modell Jungfernstieg entwickelt, ein elegantes Holzbetonmodell, das ein Durchbrechen von Fahrzeugen auf den Fußweg verhindern soll. Und lernen musste man, dass alle Nutzer von Hamburgs Filetstück ganz eigene Pläne haben. "Kein Standardverfahren" Daher erdachte die Verkehrsbehörde das Projekt Jungfernstieg gemeinsam mit allen Beteiligten. "Wir bauen die gute Stube der Stadt um und es gelingt uns weitestgehend im Konsens – indem wir die Bürger befragt haben, die Belange der Gewerbetreibenden, der Stakeholder, verschiedener Behörden sowie der Stadtentwicklung", sagt Tjarks. Wasserspiele sollen an der Ecke Neuer Jungfernstieg/Jungfernstieg entstehen und Trampoline, um Familien auf die Fläche zu locken. Das Alsterhaus bekommt eine Außengastronomie und – Achtung – große Blumenkübel. Mehr Vegetation ist bei der untergründigen Bebauung nicht machbar. "Wir haben mit den Stakeholdern gesprochen, um alle Bedarfe zu berücksichtigen", sagt Tjarks. "Das war ein hoher Aufwand und sicherlich kein Standardverfahren." Dass es so auch bei anderen Bauvorhaben so laufen wird, ist kaum denkbar: Zu aufwendig und viel zu teuer. Ob sich das Investment der Stadt in den neuen Prachtboulevard lohnt? Zum einen steckt die Innenstadt nicht nur in einem Wandel, sondern kämpft mit handfesten Problemen. Der Niedergang des Einzelhandels macht auch vor den feinen Adressen am Jungfernstieg nicht Halt. Das Alsterhaus wäre fast mit in den Abwärtsstrudel der Signa-Pleite geraten und konnte erst kürzlich gerettet werden. Viele der Geschäfte am Jungfernstieg sind nicht mehr inhabergeführt, sondern Vorzeige-Filialen großer Ketten und Techhersteller. Das mindert die Attraktivität und wirft die Frage auf, ob sich eine Flaniermeile mit Wasserspielen und einer Reihe neuer Bäume retten lässt. Zum anderen haben sich rund um die Europapassage und den Jungfernstieg gewalttätige Jugendbanden breitgemacht. Messerstechereien, Drogen und Raub verwandeln die noble Ecke abends zu einem Angstraum. Die Polizei greift mit der "Soko Alster" durch. Bislang mit mäßigem Erfolg: Noch sind die Gangster-Kids dort anzutreffen. Immerhin: Nach dem Umbau bekommen die Straßen an der Binnenalster ein neues Beleuchtungskonzept. "Die Attraktivität der Innenstadt verbessert sich nicht nur durch Verkehrspolitik", sagt Tjarks. Opposition ist nicht zufrieden Bei AfD und CDU kamen die Pläne nicht gut an, beide Fraktionen stimmten im Juni 2023 gegen die Modernisierung. Damals wetterte David Erkalp, Handelsexperte der CDU-Fraktion, gegen die autofreie Innenstadt. Vermögende Kunden würden weiterhin mit dem Auto in die Stadt fahren und bräuchten Parkplätze. Erkalp hält den Umbau für "totalen Irrsinn. Das schadet dem Handel immens", sagte er 2023 im Gespräch mit t-online . "So was gibt Händlern, die eh kämpfen, den Rest." Die Linke ist nicht so pessimistisch, hält die Pläne aber höchstens für eine "Minimallösung", wie Heike Sudmann, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linkenfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, schreibt. "Der Senat darf jetzt aber nicht stehen bleiben. Die 'gute Stube Hamburgs‘ ist wesentlich größer als dieser 500 Meter lange Abschnitt." Tjarks berichtet, dass es wenig "Gemecker" bei Opposition, Händlern und Co. gegeben habe. "Im Prinzip sagen alle über alle Parteien hinweg, dass die Richtung beim Jungfernstieg stimmt", so Tjarks. "Es geht hier nicht darum, sich an politischen Ideologien und Unterschieden abzuarbeiten." Vielmehr zeige das Projekt Jungfernstieg den 'Hamburger Weg' bei solchen zentralen Vorhaben. Ein Blick in andere Städte zeigt: Ganz selbstverständlich ist das nicht. "Beim Umbau der Berliner Friedrichstraße wurde kein Konsens erzielt und das Projekt ist rückabgewickelt", berichtet Tjarks. In Berlin war ein Abschnitt der bekannten Straße für einige Jahre zur Fußgängerzone samt Fahrradweg umgenutzt worden. Nun wurde der Vorstoß wieder zurückgedreht und Autos rauschen wieder durch. Gewonnen habe dort niemand, so Tjarks. "In Hamburg haben wir den Jungfernstieg weitestgehend im Konsens umgebaut innerhalb von fünf Jahren in einem komplexen, schwierigen Bauzeitfenster." Vom Jungfernstieg bis zu den Colonnaden Und der Umbau geht weiter: Erst kürzlich wurden die Pläne für den Neuen Jungfernstieg vorgestellt, der Senator plant sich also schon weiter gen Westen. "Mir war wichtig, dass zwischen dem Neuen Jungfernstieg, dem Jungfernstieg und den Colonnaden ein neuer Platz entsteht, der auch die Sichtachse und die Erreichbarkeit der Colonnaden verbessert", so Tjarks. Dort wird groß umgebaut: Autos können künftig nur noch stadteinwärts fahren, 52 Parkplätze fallen weg, die Gehwege werden verbreitert und es gibt eine Extra-Spur für Lieferverkehr und Taxis. Auch optisch sollen die Straßen so verbunden werden, dass Fußgänger einfach weiterbummeln können. "Ich möchte, dass Colonnaden und Jungfernsteig eine Linie bilden, eine Verbindung bekommen", sagt Tjarks. Das Teilstück am Neuen Jungfernstieg wird erst 2027 fertig, der Prachtboulevard vor dem Alsterhaus soll hingegen schon zum Weihnachtsgeschäft beendet werden. "Wir werden pünktlich fertig werden und ich kann sagen: Ich bin stolz auf das Projekt", sagt Tjarks. Lediglich die Bäume würden erst im zeitigen Frühjahr in die Erde kommen.