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Rätselhafte Verbrechen ungelöst: Die Hurenmorde von Frankfurt

Frankfurt und sein Umland sind Schauplätze spektakulärer Verbrechen. Als bis heute ungelöst gelten die Morde an den Prostituierten Rosemarie Nitribitt und Helga Matura. Die Fälle weisen auffällige Parallelen auf. Es ist der 27. Januar 1966. Zwei italienische Gastarbeiter verlassen ihre Wohnung in der Gutleutstraße 85 in Frankfurt am Main . Sie begeben sich auf den Weg zur Arbeit. Noch im Treppenhaus fällt ihnen auf, dass die Wohnungstür der Nachbarin, Helga Matura, offensteht. Als diese am Abend noch immer unverändert offensteht, beschließen die Männer nach dem Rechten zu schauen. Im Schlafzimmer der luxuriös eingerichteten Wohnung bietet sich ihnen ein erschreckendes Bild: Die leblose Frau liegt spärlich bekleidet zwischen Kleiderschrank und Himmelbett. Schnittverletzungen an Hals und Rücken zeugen davon, dass sie erstochen wurde. Um 18.02 Uhr geht bei der Frankfurter Polizei ein Anruf ein. Ein Mordopfer sei aufgefunden worden. Der Leiter der Mordkommission K11, Oskar S., leitet umgehend die Ermittlungen ein. Für den jungen Kommissar ist es sein erster und wohl auch spektakulärster Fall. Helga Matura aus Frankfurt wurde mit 16 Stichen getötet Im Zuge der Ermittlungen gelingt es, den Tatzeitpunkt zu bestimmen: Das Opfer Helga Matura muss in der Nacht vom 26. auf den 27. Januar ermordet worden sein. Mindestens 16 Stiche haben laut Obduktion zum Tod geführt. Mutmaßliches Tatwerkzeug könnte ein Pfeifenbesteck gewesen sein. Die Tatwaffe wird jedoch nie gefunden. Die ermordete 32-Jährige ist eine stadtbekannte Edelprostituierte. Mithilfe von Zeugenaussagen lässt sich die Tatnacht teilweise rekonstruieren: Gegen 1 Uhr nachts verlässt Matura ihre Wohnung. Sie ist in Begleitung eines Mannes. Eine Funkstreife sichtet die Frau etwa eine Stunde später allein in ihrem Auto. Ein weiterer Zeuge berichtet, sie wenig später wieder in Begleitung eines Mannes gesehen zu haben. Dieser letzte Freier gilt von nun an als Tatverdächtiger. Die Ermittler fertigen ein Phantombild an und hoffen auf Hinweise. Aber auch eine ausgesetzte Belohnung von 5.000 D-Mark führt zu keinen zielführenden Erkenntnissen. Alle der insgesamt 400 ausgewerteten Spuren laufen ins Leere. Rosemarie Nitribitt: der wohl bekannteste Hurenmord Deutschlands Von der Klatschpresse wird Matura schon bald als "die zweite Nitribitt" bezeichnet. Die Geschichte hat sich wiederholt. Denn neun Jahre zuvor wurde die Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt ebenfalls ermordet in ihrer Frankfurter Wohnung aufgefunden. "Die Frauen weisen bemerkenswerte Gemeinsamkeiten auf", sagt Christian Setzepfandt. Der Historiker und Stadtführer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den mysteriösen Mordfällen. Beide sind 1933 geboren, also Jahrgangsschwestern. Um gut betuchte Kundschaft anzulocken, setzen sie beide auf luxuriöse Karossen, quasi als Markenzeichen und Köder: "Nitribitt fährt einen schwarzen Mercedes 190 SL Cabriolet mit roten Ledersitzen und weißem Verdeck. Matura fährt einen weißen Mercedes 220 SE", erklärt der Historiker. Nitribitt wird nur 24 Jahre alt. Am 1. November 1957 findet die Polizei ihre Leiche. Die Obduktion ergibt, dass die Frau zunächst vermutlich mit einem Glasaschenbecher auf den Hinterkopf niedergeschlagen und anschließend erwürgt worden ist. Ihr Leichnam liegt bis zu seinem Auffinden etwa drei Tage lang in der Wohnung in der Stiftstraße – bei aufgedrehter Fußbodenheizung. Nitribitts Körper ist aufgedunsen und in starke Fäulnis übergegangen. Die Beamten, die den leblosen Körper finden, berichten von entsetzlichem Gestank in der Wohnung. Ein rosa Frotteehandtuch liegt unter dem blutenden Kopf. Später wird dies als Hinweis darauf gewertet, dass der Angreifer sein Opfer nicht ganz tot zu glauben scheint und die Tat so in gewisser Weise ungeschehen machen will. Der 27. Januar – ein schicksalhaftes Datum in Maturas Leben Helga Matura kommt im Mai 1957 nach Frankfurt und muss von dem spektakulären Mord an Rosemarie Nitribitt durch das enorme Echo in der Presse gehört haben. Ob die beiden Frauen sich sogar gekannt haben, ist ungewiss. Die aus Bottrop stammende Matura kommt aus einfachen Verhältnissen. Ihr Vater ist Kellner, die Mutter Hausfrau. Die Ehe scheint unglücklich zu sein, und scheitert. Die junge Helga besucht die Volksschule in Düsseldorf und erlernt später den Beruf der Hutmacherin. 1952 nimmt sie an der Wahl zur Miss Rheinland teil und gewinnt den ersten Platz. 1953 heiratet sie einen Kaufmann aus Düsseldorf. Am 27. Januar 1954 wird die Ehe geschieden – ein schicksalhaftes Datum, stirbt die Frau doch auf den Tag genau zwölf Jahre später. Nach ihrer Scheidung lebt sie in Neuss, Luxemburg und Karlsruhe. Vermutlich macht sie in dieser Zeit erste Erfahrungen im Milieu. Matura ist nicht nur bildschön, sie beherrscht auch die Kampfsportart Judo. Noch in Karlsruhe überlegt sie, eine Judo-Schule zu eröffnen. Doch sie entscheidet sich um und kommt nach Frankfurt. Matura wurde bereits zuvor Opfer eines Überfalls Schnell ist Matura eine bekannte Größe im Frankfurter Milieu. 1959 wird sie zum ersten Mal Opfer eines Überfalls. Dieser geht jedoch glimpflich aus. Ein Freier verfügt nicht über die nötigen Mittel, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Matura lacht ihn aus. Gemeinsam mit drei Komplizen beschließt er, die Frau auszurauben. Sie dringen in ihre Wohnung ein, wo es zum Kampf kommt. Matura setzt ihre Judo-Kenntnisse ein, um sich zu verteidigen. Ein Freund kommt ihr zur Hilfe. Die Diebe können trotzdem mit einer Beute von 600 D-Mark in ihrem Fluchtwagen entwischen. Wenige Minuten später werden sie jedoch von der Polizei geschnappt. Geistesgegenwärtig hat sich Matura das Auto-Kennzeichen mit einem Blick durch ihr Fenster gemerkt und an die Polizei weitergeben. "Rebecca" und "Karin" Während Nitribitts "nom de lit" – ihr Hurenname – "Rebecca" lautet, nennt sich Matura "Karin". Das Kennzeichen ihres aufsehenerregenden Mercedes greift die beiden Anfangsbuchstaben auf: F – KA 70. Genauso wie Nitribitt richtet Matura ihre Wohnung prachtvoll ein: Sie besitzt ein mit 7.000 D-Mark für damalige Verhältnisse sündhaft teures Himmelbett und eine ansehnliche Kollektion an Pelzmänteln. Diese bewahrt sie in ihrem Schrank auf, gemeinsam mit ihrer Auswahl an Peitschen, die nach Bedarf ihrer Freier zum Einsatz kommen. Es ist bekannt, dass Nitribitt kurz vor ihrem Tode insgeheim vom Ausstieg aus dem Milieu und einem bürgerlichen Leben träumt. Ob Matura ebenfalls aussteigen möchte? Sie ist verlobt mit ihrem mehr als zehn Jahre jüngeren Freund Rainer. "Er war noch Schüler oder Lehrling und hat der Matura wohl immer wieder junge, nicht kommerzielle Liebhaber zugeführt", weiß Christian Setzepfandt. Christian Setzepfandt: "Beide Mordfälle sind nicht aufgeklärt" Nitribitt und Matura waren "Lebedamen". So bezeichnete man Sexarbeiterinnen in den prüden 1950er- und 1960er-Jahren. Zur Klientel der Edelhuren zählen bedeutende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft. Nitribitt soll sogar eine Liebesbeziehung zu einem Erben der Krupp-Familie gehabt haben. "Beide Mordfälle sind nicht aufgeklärt", sagt Christian Setzepfandt. Er vermutet: "Die Matura könnte die neunte in einer Reihe ermordeter Prostituierter ähnlichen Stils gewesen sein." Auch die zuständige Staatsanwaltschaft Karlsruhe stellte damals fest, dass es sich bei ihrem Mörder um denselben handeln könnte, der im Jahr zuvor die Prostituierte Ingeborg Nagel umgebracht hatte. Er wurde nie gefasst. Ob Nitribitt ebenfalls zum Opfer jener Mordserie geworden ist? Auszuschließen sei dies nicht, meint Setzepfandt. Doch die Theorien sind vielfältig und reichen von Raubmord über eine Rachetat bis hin zur Vermutung, dass sie von einem ihrer einflussreichen Freier zu viel wusste und deshalb "sterben musste". Die Polizei jedenfalls geht seinerzeit davon aus, dass es ihr ständiger Begleiter und "Alibi-Mann" Heinz Christian Pohlmann gewesen sein muss. Er ist verschuldet und weiß, dass Nitribitt hohe Geldsummen in ihrer Wohnung aufbewahrt. Pohlmann wird drei Jahre nach der Tat der Prozess gemacht. Das Gericht spricht ihn jedoch frei. "Diese autarke Art der Prostitution könnte ihnen im Milieu übel genommen worden sein" Eine weitere Möglichkeit ist, dass es Neider aus dem Milieu gewesen sein könnten. Immerhin waren sowohl Nitribitt als auch Matura selbstständige Sexarbeiterinnen, die ihr Geschäft sehr erfolgreich ohne Zuhälter betrieben. "Diese autarke Art der Prostitution könnte ihnen im Milieu übel genommen worden sein", sagt Historiker Setzepfandt. Beide Frauen sollen sogar kurz vor ihrem Tod ausgesprochen haben, dass sie Angst hätten, etwas aus dem Milieu könne auf sie zukommen: "Es gibt ein Polizeiprotokoll, in dem Rosemarie schildert, dass sie Angst hat. Es entstand zwei Wochen vor ihrem Tod", weiß Setzepfandt. Der Fall Nitribitt im Kino Der Matura-Mord war seinerzeit ein Skandal, geriet aber schnell in Vergessenheit. Heutzutage ist der Fall Nitribitt der weitaus bekanntere. Das liegt nicht zuletzt an seiner Rezeption: Knapp zehn Monate nach ihrem Tod kam die Verfilmung "Das Mädchen Rosemarie" mit Nadja Tiller in der Hauptrolle in die Kinos. "Insgesamt gibt es bis heute mindestens sechs Filme über die Nitribitt", sagt Setzepfandt. Erich Kuby, der auch am Drehbuch des ersten Films mitgeschrieben hat, veröffentlichte zudem 1959 den Roman „Rosemarie. Des deutschen Wunders liebstes Kind“. Näher an den tatsächlichen historischen Begebenheiten ist wohl Christian Steigers 2007 erschienenes Werk "Rosemarie Nitribitt. Autopsie eines deutschen Skandals". Immerhin: Der Fall Matura gilt als Vorlage für den Roman "Die Akte Rosenherz" von Matthias Altenburg, der 2010 unter seinem Pseudonym Jan Seghers veröffentlicht wurde.