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Industriegipfel und "Deutschlandfonds": Kritik vom Handwerkspräsidenten

Die Politik will der Wirtschaft auf die Sprünge helfen. Dabei konzentriere sie sich aber zu sehr auf die Großen, kritisiert Handwerkspräsident Dittrich. Er warnt: Der Mittelstand dürfe nicht unter den Tisch fallen. Deutschlands Wirtschaft liegt am Boden und die Ampel scheint verstanden zu haben: So geht's nicht weiter, es muss sich schleunigst etwas ändern. Neben der bereits angeschobenen "Wachstumsinitiative", die die Konjunktur beleben soll, lädt darum Kanzler Olaf Scholz zum Industriegipfel ein. Seine SPD formuliert derweil Ideen für eine neue Wirtschaftspolitik – und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will einen großen "Deutschlandfonds" zur Förderung von Investitionen. Ist das noch echte Wirtschaftspolitik oder schon Wahlkampf? Oder ist es beides? Was davon kann den Unternehmen und Betrieben helfen und was nicht? t-online hat mit Jörg Dittrich, dem Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), über die aktuelle Lage gesprochen. Der Appell des obersten Handwerkers des Landes: Statt nur auf die großen Konzerne zu schauen, sollte die Politik stärker den Mittelstand in den Blick nehmen. t-online: Herr Dittrich, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an Olaf Scholz denken? Jörg Dittrich: Er ist ein ruhiger und bedächtiger Mann, doch manchmal fällt es mir schwer, die ruhige Art nicht als stoisch wahrzunehmen. Ist der Kanzler gut fürs Handwerk, für die Wirtschaft, für Deutschland? Für seine Rolle in der Weltpolitik zolle ich ihm großen Respekt. Mit Blick auf die Wirtschaft würde ich mir von ihm mehr Mut wünschen. Und was das Handwerk angeht, weiß ich zwar um die Wertschätzung des Kanzlers. Allerdings passen seine Taten nicht immer dazu. Zuletzt war mein Eindruck, er kümmert sich lieber um die Industrie und nicht um den Mittelstand. Sie spielen auf den Industriegipfel im Kanzleramt an, zu dem Sie nicht eingeladen sind. Dieser Gipfel ärgert mich sehr, ja. Und der Kanzler weiß das auch. Die Industrie ist wichtig, auch als Kunde fürs Handwerk. Wir dürfen aber nicht nur die Industrie allein in den Blick nehmen. Die wirtschaftliche Schwäche ist ein Problem aller Unternehmen und Betriebe in Deutschland, und das sind zum ganz überwiegenden Teil kleine und mittelgroße Firmen und Betriebe. Wir brauchen keinen Industriegipfel, sondern einen Wirtschaftsgipfel beim Kanzler, der die Interessen aller Branchen und Wirtschaftssektoren berücksichtigt. Auch Scholz' SPD fokussiert sich seit Neuestem stark auf die Industrie: Sie will E-Auto-Prämien, niedrigere Strompreise für große Firmen und einen Mindestlohn von 15 Euro, der viele große Unternehmen gar nicht betrifft, weil sie ihn ohnehin schon zahlen. Ein Fehler? Das gefällt mir ganz und gar nicht. Der Mittelstand fällt dabei unter den Tisch. Die E-Auto-Prämie bringt den großen Autobauern was, die gesenkten Strompreise sollen für viele kleine und mittelständische Betriebe nicht gelten, wie zum Beispiel den Metallbaubetrieb oder aber auch den Textilreiniger, der das örtliche Krankenhaus mit Wäsche versorgt. Von den Ideen hat der Mittelstand und damit der größte Teil der Wirtschaft nichts. Und das, obwohl es im zweiten Rezessionsjahr in Folge dringend Impulse für die gesamte Wirtschaft braucht. Und was halten Sie vom höheren Mindestlohn? Die Arbeitnehmervertreter im Handwerk mögen das gutheißen, allerdings müssen immer auch die Interessen der Arbeitgeberseite im Blick behalten bleiben. Daher ist es richtig, dass die unabhängige Mindestlohnkommission über die Höhe befindet. Das ist Sache der Sozialpartner, die Politik muss sich da raushalten. Tut sie es nicht, dürfte die Tarifbindung noch weiter sinken. Der Mindestlohn darf kein Wahlkampfschlager werden. Wer das Handwerk derzeit stärker in den Blick nimmt, ist Wirtschaftsminister Robert Habeck. Wie finden Sie seine Idee eines großen Deutschlandfonds ? Der ordnungspolitisch saubere Weg wäre, Steuern und Lohnzusatzkosten zu senken. Das gibt den Betrieben Spielräume, aus eigener Kraft mehr Investitionen anstoßen zu können. Gezielte Anreize können das unterstützen. Aber das darf nicht in einem gewaltigen Subventionsmechanismus enden. Denn diese Mittel fehlen dann für die Entlastung. Es wäre auch unredlich, einen schlankeren Staat mit mehr Eigenverantwortung zu fordern, zugleich aber Subventionen zu verlangen. Es braucht ein stimmiges Konzept der Bundesregierung als Ganzes mit klarer Perspektive bis 2035. Wir schauen uns gerne an, was der Bundesminister jetzt auf den Tisch legt. Und vor allem, welche Chance auf Umsetzung das in der Regierung hat. Denn für den Standort ist nicht entscheidend, was angekündigt wird, sondern das, was die Politik tatsächlich umsetzt. Wir brauchen kein weiteres Projekt, das auf der Umsetzungshalde landet. Welche drei Punkte würden aus Ihrer Sicht noch der gesamten Wirtschaft helfen? Erstens: Energie muss bezahlbar sein, und zwar für alle. Wie wir das schaffen, ob durch niedrigere Netzentgelte oder durch den schnellen und massiven Ausbau der Erneuerbaren, ist dabei zweitrangig. Zweitens: Deutlich weniger Bürokratie! Viele Regeln kommen von der EU-Ebene, klar. Aber die Regierung in Berlin kann in Brüssel öfter ihr Veto einlegen, und auch in Deutschland lassen sich viele Vorschriften abbauen, zum Beispiel beim Lieferkettengesetz. Und der dritte Punkt? Das sind die steigenden Sozialabgaben, die uns ab dem neuen Jahr drohen. Es ist ja schön, dass der Finanzminister die kalte Progression über Steuersenkungen wieder ausgleicht, faktisch aber bleibt für viele trotzdem weniger Netto vom Brutto, weil die Beiträge für Krankenkassen, Pflege- und bald auch für die Rentenversicherung steigen. Viele Arbeitnehmer werden dadurch ärmer. Und das Ganze hat noch einen ganz anderen Haken, den viele vergessen. Nämlich? Steigende Lohnzusatzkosten führen im lohnintensiven Handwerk fast automatisch zu steigenden Preisen für die Kunden, weil die Personalkosten bei vielen Dienstleistungen einen sehr großen Anteil ausmachen. Werden die Preise zu hoch, schreckt das Kunden ab, mit der Folge einer sinkenden Nachfrage, was wiederum schlecht für die Konjunktur ist. Nehmen Sie als ein anschauliches Beispiel einen Friseurbetrieb: Wenn da der Haarschnitt wegen höherer Sozialbeiträge immer teurer wird, überlegt es sich mancher, ob er schon diese Woche hingeht oder erst nächste Woche. Oder ob der Partner einem die Haare zu Hause schneidet. Wie würden Sie das Problem angehen? Mehr Steuergeld für die Sozialsysteme ist ja gerade nicht da. Es ist nicht meine Aufgabe, dafür fertige Lösungen zu präsentieren. Aber es gäbe eine ganze Reihe an Stellschrauben, um die finanzielle Lage der Sozialkassen zu stabilisieren. Wir könnten bei der Finanzierung über die Kopplung vor allem an den Lohn nachdenken, über die Ausgestaltung von Sozialleistungen. Und um es klar zu sagen: Ich rede nicht einem Abbau von Sozialleistungen das Wort, sondern es geht mir darum, wie wir die Systeme zukunftsfest machen. Es wird nicht funktionieren, wenn wir einfach wie bisher weitermachen. Natürlich müssen wir auch in den Betrieben noch produktiver, effizienter werden. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet fürs kommende Jahr mit einer steigenden Arbeitslosigkeit, weil die Wirtschaft so schlecht läuft. Werden auch im Handwerk, das immer über Fachkräftemangel klagt, Stellen gestrichen? Mir ist nicht bekannt, dass es in den Betrieben aktuell Entlassungen in nennenswerter Größenordnung gibt, im Gegenteil. Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften ist weiter hoch. Allerdings sinkt die Zahl der Arbeitsplätze im Handwerk, weil immer mehr Betriebe still und leise schließen. Für viele rechnet sich das Geschäft einfach nicht mehr. Alle reden über die Werksschließungen bei VW , über die 30.000 Jobs, die dort bedroht sind. Worüber viel zu wenig gesprochen wird: Im Handwerk fallen dieses Jahr rund 80.000 Arbeitsplätze weg. Die Ampel will mit ihrem Wachstumspaket die Konjunktur anschieben, gerade erst hat Arbeitsminister Hubertus Heil die Reform des Arbeitszeitgesetzes angekündigt. Wie sehr wird das der Wirtschaft helfen? Ich gestehe Herrn Heil zu, dass er als Minister einen starken Fokus auf die Arbeitnehmer hat. Allerdings müsste er angesichts der wirtschaftlichen Lage in meinen Augen jetzt seiner Verantwortung gerecht werden und auch stärker die Arbeitgeberinteressen in den Blick nehmen. Da ist er viel zu zögerlich. Das Arbeitszeitgesetz ist dafür ein gutes Beispiel. Warum? Weil er zuletzt nicht etwa angekündigt hat, die viel zu starren Regeln für die maximale Arbeitszeit pro Tag zu flexibilisieren, sondern er plant lediglich ein Gespräch dazu mit Arbeitgebern und Gewerkschaften. So bremst er das Wachstumspaket aus. Kritiker der Liberalisierung wenden ein, dass eine maximale Stundenzahl pro Woche statt einer Höchstarbeitszeit pro Tag viele Arbeitnehmer in die Selbstausbeutung führt. Dieses Argument höre ich auch immer wieder. Für mich klingt das nach betreutem Leben. Wollen wir wirklich noch in einer Zeit leben, in der wir anderen vorschreiben, ob sie vier oder fünf Tage die Woche arbeiten wollen? Wir sind dafür, von einer Tages- auf eine Wochenhöchstarbeitszeit umzustellen. Damit soll nicht das Arbeitszeitvolumen erhöht werden, sondern es soll uns mehr Arbeitszeitflexibilität geben, um den Wünschen von Beschäftigten und Arbeitgebern gerecht werden zu können. Ebenso in Heils Zuständigkeit fällt das umstrittene Rentenpaket. Ist es aus Ihrer Sicht gerecht, dass die Beiträge für die Jüngeren steigen, damit das Rentenniveau für die Älteren fix bei 48 Prozent bleibt? Eine kluge Rentenpolitik sorgt für gesellschaftlichen Ausgleich, vor allem zwischen den Generationen. Die aktuell diskutierte Rentenreform ist nach meiner Kenntnis für die Babyboomer gut und für die Jungen schlecht. Hier scheint mir das Gleichgewicht also nicht genügend gewahrt. Sollte das Renteneintrittsalter Ihrer Meinung nach angehoben werden? Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Gerade aus Sicht des Handwerks muss es um die Erwerbsbiografie gehen und nicht um ein fixes Eintrittsalter für alle. Wer mit 16 eine Lehre zum Bäcker macht, täglich morgens um eins anfängt zu arbeiten, hat mit Anfang 60 ein anderes Arbeitsleben hinter sich als ein Masterabsolvent, der vor dem Studium noch ein soziales Jahr gemacht hat und mit 30 Jahren seine erste feste Stelle hat. Das heißt: Wir brauchen in der Frage des Renteneintrittsalters mehr Flexibilität, die berücksichtigt, wer im Alter wie viel leisten kann. Um auch mal was Positives zu sagen: Die Anreize zum längeren Arbeiten im Alter, die die Ampelregierung verfolgt, sind da völlig richtig. Blicken wir zum Abschluss noch kurz auf die vergangenen Wahlen in Ostdeutschland, bei denen die AfD großen Zuspruch erhielt – eine Partei, an deren Spitze mit Tino Chrupalla ein Handwerker steht. Wie oft haben Sie von Kollegen schon gehört: "Die wähle ich, der ist schließlich einer von uns"? Ich kenne niemanden, der die Partei aufgrund ihres Bundesvorsitzenden wählt. Wirklich? Dabei sagt man, dass der Zuspruch für die AfD im Handwerk recht groß ist. Von diesem Narrativ hab' auch ich gehört, allerdings lässt es sich anhand von Zahlen nicht belegen. In Thüringen war der AfD-Zuspruch unter den Selbstständigen – zu denen ja viele Handwerker zählen – unterdurchschnittlich. Aber unter den Arbeitern, zu denen sich auch viele angestellte Handwerker zählen dürften, hat fast jeder zweite AfD gewählt. Zu den Arbeitern zählen gewiss nicht nur Handwerker. Wissen Sie, ich stamme selbst aus Ostdeutschland, ich kenne die Lage vor Ort. Und die zeigt vor allem, dass es ein großes Gefälle zwischen Stadt und Land gibt. Auf den Dörfern, aus denen viele Menschen wegziehen, wo immer weniger Leute zurückbleiben und die sich damit zurückgelassen fühlen, ist der Zuspruch für radikale Parteien größer. Da muss man ansetzen. Und wie? Das Leben auf dem Land muss wieder fröhlicher werden. Wo nur geschimpft wird, zieht niemand hin; wo viele Leute Ressentiments haben, entwickelt sich nichts Neues, Schönes. Es wäre gut, wenn die Menschen vor Ort wieder etwas Eigenes auf die Beine stellen, zum Beispiel Dorf- oder Vereinsfeste. Starke Handwerksbetriebe können dabei helfen, sie sind das Rückgrat der Wirtschaft und unseres Landes. Allerdings muss man sie auch machen lassen. Herr Dittrich, vielen Dank für dieses Gespräch.