VW in China: Deshalb setzt der Autobauer auf Verbrenner und E-Autos
In China werden Elektroautos immer beliebter, doch VW setzt weiter auf Verbrenner. Wie das zusammenpasst, erklärt Volkswagens China-Chef. Volkswagen hat die Geschichte des Pkw in China geprägt. Seit über vierzig Jahren sind die Wolfsburger in der Volksrepublik – 50 Millionen Menschen dort fahren ein Fahrzeug des Konzerns. Seitdem Chinas eigene Autoindustrie immer stärker geworden ist, schwächeln jedoch VWs Absatzzahlen. Besonders bei Elektroautos hinken die Wolfsburger hinterher. Das soll sich jetzt ändern. Volkswagen hat eine neue Strategie aufgelegt und will damit in China endlich als ernst zu nehmender Anbieter von Stromern wahrgenommen werden. Gleichzeitig wollen die Wolfsburger aber auch die Marktführerschaft bei Verbrennern halten. Ralf Brandstätter ist seit 2022 VW-Vorstand für China und erklärt im Interview mit t-online, wie das funktionieren soll. Opel-Chef Florian Huettl : So günstig soll der neue Corsa werden "Das ist alternativlos": VW-Boss widerspricht Söder t-online: Herr Brandstätter, der CSU-Vorsitzende Markus Söder hat gefordert, aus dem Verbrennerverbot auszusteigen. Halten Sie das für eine gute Idee? Ralf Brandstätter : Die Elektromobilität ist die Zukunft. Als starker Automobilstandort muss es Deutschlands Anspruch sein, bei dieser Technologie ganz vorn mit dabei zu sein. Ich halte es deshalb für sinnvoll, dass wir darüber sprechen, wie wir stabile Rahmenbedingungen schaffen, um dieses Ziel zu erreichen. Hier lohnt sich auch ein Blick nach China. Dort gibt es die Diskussion über ein Verbrenner-Aus nicht. Die Kunden wollen elektrisch fahren. Die Industrie investiert massiv in die Elektromobilität. Warum ist die Elektromobilität dort so beliebt? Erstens hat die Politik eine klare Richtungsvorgabe gemacht. Wirtschaft, Wissenschaft und Politik treiben gemeinsam konsequent die Verkehrswende voran. Zweitens ist der Strompreis bei sechs bis sieben Cent die Kilowattstunde so niedrig, dass das Laden im Vergleich zum Tanken sehr günstig ist. Drittens: der massive Ausbau der Infrastruktur – 70 Prozent aller Ladepunkte weltweit stehen in China. Und viertens: die viel jüngeren Kunden, die bereit sind, neue Technologien auszuprobieren. Was könnte Deutschland konkret daraus lernen? Tiefgreifende Transformationen brauchen Klarheit und Durchhaltevermögen. Es hat die Konsumenten in Deutschland sehr verunsichert, als Ende 2023 über Nacht die Förderung für Elektroautos abgeschafft wurde. Das hat auch das Vertrauen in die Technologie nachhaltig belastet. In China ist die Subvention für Elektrofahrzeuge seit fünf Jahren unverändert. Und wird bis mindestens Ende 2027 fortgeführt. Das schafft bei den Kunden Vertrauen in die Elektromobilität und stärkt die Planungssicherheit für die Industrie. Wie verändert sich derzeit der chinesische Markt? China ist das Powerhouse für die internationale Automobilindustrie . Insbesondere, wenn es um elektrische und vollvernetzte Fahrzeuge geht. In China spricht man von sogenannten NEVs, die neuen Energiefahrzeuge – also reine Stromer, Plug-in-Hybride und Stromer mit Range Extender, einem kleinen Verbrennungsmotor , der bei Bedarf die Batterie lädt – für eine höhere Reichweite. Mittlerweile ist jedes zweite verkaufte Fahrzeug in China ein NEV. Bei dem großen Elektrotrend in China ist VW bislang weitgehend abgehängt. Sie haben im vergangenen Jahr knapp drei Millionen Fahrzeuge verkauft, 90 Prozent davon waren Verbrenner. Woher kommt das? Wir sind seit 40 Jahren in China. 50 Millionen Menschen fahren heute ein Konzernfahrzeug. Mit dem ersten Volkswagen Santana in Shanghai fing es an. Wir haben deshalb eine sehr starke Position im Geschäft mit Verbrenner-Fahrzeugen. Aktuell sind wir mit 22 Prozent und deutlichem Vorsprung auf die Konkurrenz Marktführer. Tendenz steigend. Aber der Trend in China geht doch eindeutig zum Elektroauto . Im Jahr 2030 werden voraussichtlich mehr als 28 Millionen Autos verkauft werden. Davon werden etwa 45 Prozent reine Elektrofahrzeuge sein, aber 55 Prozent entfallen auf Verbrenner, Plug-in-Hybride oder Fahrzeuge mit Range-Extender. Aber ist es nicht eine gefährliche Strategie, sich auf den kleiner werdenden Verbrennermarkt zu konzentrieren? Das tun wir nicht. Wir investieren massiv in die Digitalisierung und Elektrifizierung unserer Produktpalette. Dennoch macht es Sinn, sich weiter konsequent im Verbrenner-Geschäft zu engagieren. Zum einen verdienen wir dort die notwendigen Mittel, um in neue Technologien investieren zu können, zum anderen werden im Jahr 2030 voraussichtlich immer noch rund 16 Millionen Fahrzeuge in China mit einem Verbrenner-Motor ausgestattet sein, auch weil in vielen Landesteilen die Elektromobilität aufgrund des Wetters oder der Infrastruktur noch Nachteile hat. Der Markt für Verbrenner bleibt also für die nächsten Jahre relevant. Unser Fokus liegt aber klar auf der Elektrifizierung unserer Modellpalette. Das heißt? Neben modernen Plug-in-Hybriden werden wir im nächsten Jahr auch Fahrzeuge mit Range-Extender anbieten. Damit lassen sich Reichweiten von mehr als 1.000 Kilometern erreichen. Gleichzeitig werden wir noch in diesem Jahr eine neue Generation von smarten Elektrofahrzeugen einführen. Ausgestattet mit einer sehr fortschrittlichen Elektronik-Architektur, wettbewerbsfähiger Software und leistungsfähigen Fahrerassistenzsystemen. Damit sind wir auf oder über dem Wettbewerbsniveau: bei der Technologie und übrigens auch bei den Kosten. Derzeit herrscht ein ruinöser Preiskampf auf dem Markt. Ist der Tiefstpreis für ein Auto dort bereits erreicht? Der chinesische Automarkt hat jede Rationalität verloren. 130 Marken kämpfen um Marktanteile. Das hat zu einem massiven Preisdruck geführt, der voraussichtlich noch weiter zunehmen wird. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass selbst wenn die Branche sich konsolidieren sollte und Marken verschwinden, die Preise nicht wieder das frühere Niveau erreichen werden. Was bedeutet das für Sie? Wir kaufen uns keine Marktanteile mit hohen Rabatten, sondern konzentrieren uns darauf, unsere Kosten zu senken. Dabei setzen wir auf einen "in China, für China"-Ansatz, um uns konsequent auf das neue Preisniveau einzustellen. Das bedeutet mehr lokale Entwicklung und eine engere Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern und Zulieferern. Dafür haben wir im ostchinesischen Hefei ein neues Entwicklungszentrum aufgebaut. Dort arbeiten 3.000 chinesische Ingenieure und Software-Experten, die ausschließlich smarte Elektrofahrzeuge für den chinesischen Markt entwickeln. Das erste Fahrzeug, das auf unserer neuen China-Plattform basiert, wird 2026 in den Markt eingeführt. Es ist etwa so groß wie ein Tiguan und kostet umgerechnet 16.000 Euro. Wie ist es möglich, Autos dort so günstig anzubieten? Das liegt an den industriellen Rahmenbedingungen. Eine Entwicklerstunde ist in Deutschland mehr als dreimal so teuer wie in China. Auch die Produktionskosten liegen drei- bis viermal höher. Hinzu kommt der niedrige Industriestrompreis. In Deutschland zahlen Unternehmen 25 Cent pro Kilowattstunde, in China nur rund 10 Cent. Davon profitieren auch unsere Zulieferer, die ihre Produkte im Vergleich zu Europa deutlich günstiger anbieten können. Außerdem richten wir unsere Produkte ganz konsequent auf die Anforderungen des lokalen Marktes aus. Zum Beispiel mit günstigeren LFP-Batterien, die in China Standard sind. Das reduziert Komplexität und Kosten. Welche Modelle bringt VW jetzt in China? Bis 2027 werden unsere Konzernmarken 30 neue elektrifizierte Modelle auf den Markt bringen. Bis 2030 sind es mehr als 50. Sie haben kürzlich auch die Elektrifizierung der Submarke Jetta beschlossen. Warum? Jetta hat in China eine sehr hohe Bekanntheit. Viele Menschen verbinden damit ihr erstes Auto. 2019 haben wir deshalb aus Jetta eine eigene Marke gemacht, die sehr preisgünstige Fahrzeuge im Einstiegssegment anbietet. Wir beobachten, dass es auch im Elektrobereich eine starke Nachfrage nach solchen Fahrzeugen gibt. Deshalb werden wir in den kommenden zwei Jahren vier elektrische Jetta-Modelle zu einem Preis von circa 12.000 Euro auf die Straße bringen. Wir erweitern damit unser Elektro-Angebot in dem schnell wachsenden Segment für elektrische Einstiegsfahrzeuge. Wie unterscheiden sich die Autos für den chinesischen Markt? Der chinesische Kunde ist in seinen Bedürfnissen anders als der europäische Kunde. In Europa ist ein Neuwagenkäufer im Durchschnitt 55 Jahre alt, in China durchschnittlich nur 35 Jahre. Er gehört dort zum neuen Mittelstand und lebt in einer kleinen Wohnung in großen Städten. Diese Kunden sehen das Auto auch als erweiterten Lebensraum, in dem sie viel Zeit verbringen wollen. Zum Arbeiten, aber auch zum Filmeschauen, Freundetreffen oder zum Schlafen. Wie noch? Der europäische Fahrer möchte das Auto weitestgehend über haptische Tasten steuern. In China muss sich das Fahrzeug in allen Funktionen ohne Knöpfe bedienen lassen. Zum Beispiel durch die Sprachsteuerung oder über einen digitalen Avatar. Welche Rolle spielt das autonome Fahren in China? Neben der Elektrifizierung ist das automatisierte Fahren (ADAS) entscheidend, um in China langfristig erfolgreich zu sein. Wir haben deshalb gemeinsam mit einem chinesischen Tech-Partner, Horizon Robotics, ein eigenes, wettbewerbsfähiges System entwickelt, das Ende des Jahres an den Start geht. Es hat ein sehr natürliches Fahrgefühl und ist besonders auf Sicherheit ausgelegt. Durch Künstliche Intelligenz lernt das System jeden Tag dazu. Die Verbesserungen können wir dann über Updates auf die ganze Flotte übertragen. Davon profitiert der Kunde, dessen Fahrerlebnis laufend optimiert wird. Planen Sie das auch in Deutschland? Dieses System haben wir exklusiv für China entwickelt. Das liegt an den sehr unterschiedlichen gesetzlichen Anforderungen in China und Europa. Aber auch der Verkehr unterscheidet sich. Während man in China in der Regel mit niedrigeren Geschwindigkeiten unterwegs ist, muss beispielsweise in Deutschland das System auch auf deutlich höhere Geschwindigkeiten ausgelegt sein. Deshalb werden für Europa separate Lösungen entwickelt. Wie erleben sie persönlich das Straßenbild in China? Ich bin vor 30 Jahren das erste Mal nach China gereist. Seitdem hat sich das Land weiterentwickelt. Nehmen wir zum Beispiel Peking , wo ich selbst lebe. Noch vor wenigen Jahren konnte man beim Anflug auf die Stadt die Häuser wegen der hohen Luftverschmutzung kaum sehen. Eine braune Glocke hing über der Stadt. Heute ist die Luftqualität an vielen Tagen im Jahr sehr gut. Das liegt zum einen daran, dass heute Autos und Roller weitestgehend elektrisch fahren. Zum anderen hat man die Kraftwerke und Schwerindustrie mit Filteranlagen ausgestattet und aus der Stadt in Vororte verlagert. Heizungen wurden von Holz auf Gas oder Elektrizität umgestellt. Das Leben in den Großstädten hat dadurch deutlich an Qualität gewonnen.