Ein Autofahrer kommt aus einer Grundstücksausfahrt. Ein Motorrad naht. Sekunden später kracht es. Wer hat Schuld? Ein Gericht urteilt so eindeutig wie überraschend. Wer sich mit seinem Fahrzeug von einem Grundstück aus in den Verkehrsraum hineinbewegt, hat höchste Sorgfaltspflicht. Das Oberlandesgericht Brandenburg (Az.: 12 U 96/24) erinnert daran mit einem klaren Urteil: Einfahrende müssen mit vorbeifahrenden oder überholenden Fahrzeugen rechnen. Immer. Der Unfall: schlechte Sicht, fataler Moment In dem vor Gericht verhandelten Fall ging es um folgende Sachlage: Ein Autofahrer wollte von seinem Grundstück auf eine verkehrsberuhigte Straße fahren. Parkende Autos versperrten den Blick. Er rollte langsam vor. Von links kam ein Auto – ebenfalls mit geringer Geschwindigkeit. Ein Motorradfahrer nutzte den Moment, zog zum Überholen an und prallte gegen das ausfahrende Auto. Der Motorradfahrer wurde schwer verletzt. Der Streit: Mitschuld oder nicht? Die Versicherung des Autofahrers verweigerte dem Motorradfahrer die Zahlung. Ihre Begründung: Der Motorradfahrer habe bei unklarer Verkehrslage überholt. Doch das Gericht sah keinen Fehler beim Überholenden. Das Urteil: Ausfahrender trägt volle Schuld Das Oberlandesgericht sprach dem Motorradfahrer 10.000 Euro Schmerzensgeld zu. Die Richter sahen die Alleinschuld beim Autofahrer. Er sei trotz eingeschränkter Sicht mit rund 11 km/h eingefahren – zu schnell für eine Lage, die äußerste Vorsicht verlangt. Die Betriebsgefahr des Motorrads trat hinter diesem Fehlverhalten vollständig zurück. Der Grundsatz: Wer fährt, hat Vorrang Das Gericht stellte klar: Das Überholen langsam fahrender oder parkender Autos ist innerorts nichts Ungewöhnliches. Wer auf der Straße fährt, darf darauf vertrauen, dass er Vorrang auf der gesamten Fahrbahn hat. Wer in den fließenden Verkehr einfährt, muss mit Überholenden rechnen – jederzeit. Die Lehre: Einfahrende tragen das volle Risiko Grundstücksausfahrten verlangen maximale Aufmerksamkeit. Eingeschränkte Sicht verpflichtet zu Schrittgeschwindigkeit. Oder zum Warten. Überholer können jederzeit auftauchen. Fehler beim Einfahren wiegen schwerer als gewöhnliche Betriebsrisiken anderer Fahrzeuge. Der beste Schutz: Geduld Wer aus einer Grundstücksausfahrt fährt, sollte sich in Geduld üben und muss auf alles gefasst sein. Das Urteil aus Brandenburg zeigt: Ein einziger Moment fehlender Vorsicht kann teuer werden.