ETS 2 und CO2-Preis: CDU-Politiker Liese ruft zu Klimageld-Kampagne auf
Emissionshandel, Verbrenneraus, Gasausstieg – in der EU hat der Klimaschutz einen schwereren Stand als noch vor ein paar Jahren. Im Interview erklärt der CDU-Politiker Peter Liese, wie jetzt gute Klimapolitik aussehen kann. Wer in Europa einen Experten für Umwelt- und Klimapolitik sucht, kommt an Peter Liese nicht so schnell vorbei. Der CDU-Politiker ist seit 1994 Mitglied des Europäischen Parlaments und heute stellvertretender Fraktionsvorsitzender der konservativen EVP-Fraktion. Eines seiner wichtigsten Projekte der vergangenen 20 Jahre war der Emissionshandel (ETS) – im allgemeinen Sprachgebrauch als CO2-Preis oder CO2-Steuer bekannt. Die zweite Stufe des ETS, der ab 2028 fossile Brennstoffe erstmals auch für Privathaushalte teurer machen soll, nannte er einst "das größte Klimaschutzgesetz aller Zeiten". Doch die Angst vor steigenden Energiepreisen hat den Druck auf den Emissionshandel erhöht. Im November haben sich die EU-Staaten darauf geeinigt, die Einführung des ETS 2 um ein Jahr zu verschieben . Im Interview mit t-online schildert Liese, warum er die Hoffnung darauf, Emissionen fair zu bepreisen und so Treibhausgase nachhaltig zu senken, trotzdem nicht aufgibt – und was es jetzt für eine erfolgreiche Klimapolitik wirklich braucht. t-online: Herr Liese, eines Ihrer wichtigsten Projekte, der ETS 2, wird erst einmal verschoben. Nehmen Sie das auch als persönlichen Rückschlag wahr? Peter Liese: Ich finde die Verschiebung des Emissionshandelssystems ETS 2 natürlich sehr schade. Viele Unternehmer haben in Vorbereitung auf den Emissionshandel viel Geld investiert und fühlen sich jetzt hintergangen. Aber wenn man sich vor Augen führt, was für eine große Sache der ETS 2 ist, und wenn wir es wirklich schaffen, ihn 2028 einzuführen, dann ist das immer noch ein großer Erfolg. Solange das passiert, nehme ich es nicht als persönlichen Rückschlag wahr. Das heißt, Sie haben noch Hoffnung, dass der ETS 2 wirklich 2028 kommt? Es gibt unterschiedliche Interpretationen des Gesetzes. Aber von denen, die in der Nacht, als die Verschiebung beschlossen wurde, im EU-Umweltrat dabei waren, sind sich die meisten sicher, dass der Inhalt jetzt steht. Der Gesetzestext ist nicht mehr anfechtbar – es gibt kein Zurück mehr. Anträge auf eine weitere Verschiebung wurden im Europäischen Parlament abgelehnt. Die Akzeptanz für den CO2-Preis ist nicht besonders hoch. Warum halten Sie ihn trotzdem für den richtigen Weg? Uns gelingt es aktuell insbesondere im Bereich Verkehr, aber auch im Bereich Wärme nicht, ausreichend Treibhausgasemissionen einzusparen . Klimafreundliche Technologien rechnen sich für Privathaushalte noch zu wenig, weshalb die Menschen auch nicht umsteigen und das Geld darin investieren. Der ETS 2 ist mit Abstand die einfachste und kostengünstigste Möglichkeit, Emissionsreduktionen im Bereich Verkehr und Wärme zu erzielen, sodass die Rechnung doch aufgeht. Jede andere Lösung wäre teurer, insbesondere das Ordnungsrecht. Ordnungsrecht, damit meinen Sie Gesetze, die den Bürgern vorschreiben, wie man richtig Klimaschutz betreibt? Genau. Wir haben in Deutschland beim Heizungsgesetz gesehen, wie Ordnungsrecht nach hinten losgehen kann. Aber der CO2-Preis hat noch einen weiteren, großen Vorteil: Mit dem Emissionshandel entstehen nicht nur Kosten, sondern auch Einnahmen. Und der Schlüssel für den Erfolg ist sicher die gezielte Verwendung dieser Einnahmen. Einst war geplant, allen Bürgern ein Klimageld auszuzahlen, um die höheren Ausgaben beim Heizen oder Tanken zu kompensieren. Die Bundesregierung will das Klimageld aber nicht einführen. Würde das nicht die Akzeptanz des CO2-Preises erhöhen? Klimageld ist eine mögliche Verwendung der Mittel , aber nicht die einzige und vielleicht auch nicht die beste. Ich möchte jetzt nicht einzeln auf Vor- und Nachteile eingehen, denn egal, was man mit dem Geld macht: Entscheidend sind Transparenz und eine gezielte Unterstützung von Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen. Das ist in Deutschland bisher nicht passiert – einer der größten Fehler der bisherigen deutschen Klimapolitik. Ich sage immer, man muss die Leute nachts um drei Uhr wecken können und sie müssen einem sagen können, wofür das Geld aus dem Emissionshandel verwendet wird. Davon sind wir in Deutschland weit entfernt. Was haben die Bundesregierungen denn bisher mit dem Geld gemacht? Sehr vieles, aber vor allem haben die Regierungen in Deutschland Wohlhabende unterstützt. So haben jahrelang Arbeiter für die Elektro-SUV ihrer Chefs bezahlt, weil die Förderung darin bestand, dass man Kosten steuerlich absetzen konnte. Menschen, die hart arbeiten, eine Familie und ein geringes Einkommen haben, zahlen aber kaum Steuern . Deswegen hat sich die Anschaffung eines E-Autos für die nicht gelohnt, aber für den Boss schon. Und das ist entscheidend. Deswegen begrüße ich sehr, dass die Bundesregierung jetzt klare Beschlüsse gefasst hat , dass auch Menschen mit niedrigen Einkommen ein E-Auto kaufen können. Sie meinen die geplante Kaufprämie, mit der Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen ein Elektroauto kaufen oder leasen können … Genau. Und auch die soziale Komponente bei der Heizungsförderung sollte aus meiner Sicht bleiben. Jetzt muss das Ganze noch gut kommuniziert werden. Sie machen diesen Job schon seit über 30 Jahren. Haben Sie Beispiele dafür, wie Klimapolitik wirklich funktionieren kann – so gut, dass man Skeptiker überzeugt? Aktuell habe ich zwei Dinge, die ich als konkreten Beweis vorlegen kann, dass uns Klimaschutz gelingen kann. Zum einen haben wir den ETS 1, der eine wunderbare Erfolgsgeschichte ist. Wir haben in Europa seit seiner Einführung die Emissionen um 50 Prozent gesenkt. Insbesondere in den letzten sieben, acht Jahren, geht es steil bergab. Das zeigt: Es kann funktionieren. Und der zweite Beweis? Den liefert die gerade zu Ende gegangene Klimakonferenz im brasilianischen Belém : Am letzten Tag haben die lateinamerikanischen Länder mit Russland eine Feldschlacht geführt, weil die Lateinamerikaner aus den fossilen Brennstoffen aussteigen wollen – und Russland blockiert. Der russische Vertreter hat die Lateinamerikaner auf Spanisch als Kinder beschimpft. Da liegt unsere geopolitische Chance. Wir können uns mit Lateinamerika verbünden und damit einen signifikanten Teil der Welt auf unsere Seite ziehen. Diese Zusammenarbeit kann auch allen Seiten Wirtschaftswachstum bringen. Momentan überwiegt der Eindruck, dass insbesondere in Ihrer Partei viele mit einer ambitionierten Klimapolitik hadern. Nehmen Sie das auch so wahr? Es gibt einige wenige, die grundsätzlich mit der Klimapolitik hadern und denen trete ich energisch entgegen. Die Klimaziele infrage zu stellen, geht gar nicht. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass sich Bundeskanzler Merz so klar positioniert und mehrfach betont hat, dass er zu den Klimazielen steht. Auch in der EU hat unser Fraktionsvorsitzender Manfred Weber die Marschroute vorgegeben: Wir wollen die Ziele erreichen, wir müssen dabei aber pragmatischer und einfacher vorgehen als bisher. Aber wir sind nicht gegen Klimaziele. Aber es ist schwieriger geworden? Ja. Ich habe die letzten Jahre als Achterbahnfahrt erlebt. Ich war immer für ambitionierte Klimapolitik, aber zwischen 2019 und 2022 hatte ich oft den Eindruck, dass viele über das Ziel hinausschießen. Da haben Kollegen aus meiner Fraktion, zum Beispiel aus Polen , für noch strengere Klimaziele geworben, als die Kommission sie vorgeschlagen hat – dieselben Kollegen beteiligen sich aber an keiner einzigen konstruktiven Maßnahme, diese Ziele auch zu erreichen. Vielmehr kämpfen sie dagegen. Vor allem auf Drängen Polens wurde ja nun der ETS 2 verschoben. Das ist leider richtig. Ich bin auch sehr enttäuscht, dass wir von den Teilen der Wirtschaft, die formal angeben, dass sie für den ETS 2 sind, in den letzten Monaten sehr wenig Unterstützung dafür erhalten haben. Ich habe schon vor einigen Jahren befürchtet, dass wir zu weit gehen und einen Rückschlag erleben werden. Das ist nun eingetreten. Wir gehen jetzt aber mit der Rückabwicklung vieler Maßnahmen zu weit. Maß und Mittel haben vor fünf Jahren gefehlt und fehlen jetzt auch wieder. Ich bin übrigens auch sehr enttäuscht von Umweltverbänden, die den Emissionshandel und seine große Bedeutung für den Klimaschutz nie wirklich gepusht haben. Was meinen Sie damit? Die Grünen und viele Umweltverbände haben viel zu lange versucht, den Leuten weiszumachen, dass es ohne persönliche Anstrengung gehen werde. Zu oft haben sie mit dem Finger auf die Industrie und die Lobby der fossilen Brennstoffe gezeigt und behauptet: Wenn man ihnen die Macht nähme, dann ginge alles von ganz allein. Dem ist aber nicht so. Vor allem die soziale Debatte haben viele Klimaschützer aus den Augen verloren. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir sie jetzt führen. Das macht die Klimadebatte nicht einfacher, aber dafür ehrlicher. Was können Bürger aus Ihrer Sicht tun, um Politiker zur Klimapolitik zu ermutigen? Ganz ehrlich: Ich wünsche mir jetzt eine große Kampagne aus der Zivilgesellschaft. Eine europaweite Kampagne unter dem Motto "Give me the money" – also ein Aufruf an die Politik, das Geld aus dem CO2-Preis an die Bürgerinnen und Bürger auszuschütten. Fragen Sie Ihre Politiker, teilen Sie es ihnen mit, dass Sie das Geld haben wollen, für E-Autos und Wärmepumpen und moderne Wohnungen. Jeder muss wissen: Es sind Milliarden zu holen.
