Banden in NRW: "Strafen sind denen total egal"
Nordrhein-Westfalen war lange ein Hotspot der Geldautomatensprenger. Dann gingen die Zahlen plötzlich runter. Warum das so ist. Vor zehn Jahren ist eine bestimmte Art von Kriminellen in den Fokus der Ermittlungsbehörden in Nordrhein-Westfalen gerückt: die Geldautomatensprenger. Mit der Ermittlungsgruppe "Heat" kämpft man seitdem beim Landeskriminalamt (LKA) gegen die kriminellen Banden, die nachts mit ihren Explosionen auf schnelle Beute hoffen – und das wohl auch ohne Rücksicht auf Menschenleben. Michael Jaks ist seit 2023 Dezernatsleiter für den Bereich Organisierte Kriminalität beim LKA, ihm ist auch die Ermittlungsgruppe "Heat" unterstellt. Im Interview spricht er über die Methoden der Geldautomatensprenger – und was sich im Kampf der Ermittlungsbehörden und der Banken gegen sie verändert hat. t-online: Was weiß man über die Geldautomatensprenger? Was sind das für Leute? Michael Jaks: Das sind überwiegend in den Niederlanden lebende Personen, die vielfach einen nordafrikanischen Hintergrund haben, meist marokkanische Wurzeln. Sie leben überwiegend in den Städten Rotterdam, Utrecht und Amsterdam, oft in sozialen Brennpunkten. Dort gibt es kaum eine Perspektive auf eine Karriere oder großen Reichtum. Die Geldautomatensprengungen versprechen den Tätern einen schnellen Euro – und das bei vergleichsweise wenig Zeitaufwand. Wie arbeiten die Kriminellen zusammen? In diesem Netzwerk – von einer festen Bande kann man nicht reden – gibt es zahlreiche Logistiker. Einer besorgt die Explosivmittel, wieder andere die Autos, und dann gibt es auch jemanden, der die Automaten identifiziert, die gesprengt werden könnten. Auch für die Rekrutierung gibt es Leute. Aus diesen Personen setzt sich eine Gruppe immer wieder neu zusammen. In diesem riesigen, fluiden Netzwerk kann schnell eine Lücke geschlossen werden, wenn mal einer ausfällt. Wie kommen die Kriminellen an den nötigen Sprengstoff? Ich möchte von dem Begriff Sprengstoff wegkommen, den benutzen wir gar nicht – für uns sind das Explosivstoffe. Das ist strafrechtlich tatsächlich ein Unterschied. In der Anfangszeit sind die Geldautomaten mit einem Gasgemisch gesprengt worden. Das Gemisch wurde dann über zwei Gasflaschen in die Automaten geleitet und dann mit einer kurzen Zündung gesprengt. Die Banken und die Automatenhersteller haben in den letzten Jahren sehr viel getan, dass das technisch nicht mehr funktioniert. Und wie gehen die Täter neuerdings vor? Die Täter lernen relativ schnell: Jetzt werden tatsächlich feste Explosivstoffe genutzt. Aus Feuerwerkskörpern werden Pakete zusammengeschnürt. Die Täter zerlegen übliche Feuerwerkskörper wie etwa die Cobra-Böller in ihre Einzelteile und verbinden sie neu mit einem Zündkabel. Die Explosivstoffmenge wird dabei genau berechnet: Denn dabei besteht immer die Gefahr, dass nicht nur der Geldautomat aufgesprengt wird – sondern auch das Bargeld selbst unbrauchbar wird. Wie schnell läuft so eine Geldautomatensprengung von der Planung bis zur Tat ab? Was genau der Initiator für einen Täter ist, genau an diesem Tag irgendwo einen Geldautomaten aufzusprengen, das wissen wir nicht. Ich gehe davon aus, dass die Täter nach der Entscheidung, das zu tun, aber innerhalb weniger Stunden oder Tage zur Tat ansetzen. Dazu reisen sie dann in die Bundesrepublik ein. Und was passiert nach der Tat? Früher sind die Täter relativ häufig nach der Sprengung direkt zurück über die Grenze geflüchtet, das ist heute teilweise etwas anders. Wenn so ein Fluchtauto klassischerweise um 3 Uhr in der Nacht über die Autobahn davonrast, kann viel schiefgehen. Deshalb suchen mittlerweile viele Täter in Tatortnähe erst einmal ein ruhiges Plätzchen und treten dann möglichst unauffällig morgens im Berufsverkehr, zur Mittagszeit oder auch einen Tag später die Heimreise an. Wenn Sie nach einer Geldautomatensprengung einen Tatverdächtigen festnehmen können – packt der dann über seine Kollegen aus? Die meisten Tatverdächtigen nehmen ihre Strafe hin und erzählen nicht ganz so viel. Bisher wurden die Täter meist zu Haftstrafen von zwei bis fünf Jahren für diese Taten verurteilt, in Einzelfällen auch mal zu sieben bis acht Jahren oder höher. Meine persönliche Einschätzung: Solche Strafen sind denen komplett egal. Und wenn doch mal einer redet? Es gibt vereinzelt Fälle, wo auch mal Aussagen getätigt werden, aber der Großteil der Ermittlungs- und Beweiserfolge liegt im Spurenbereich – das sind etwa Glasspuren, Schuhabdrücke, Fingerabdrücke, DNA-Spuren. Die Klassiker, die letztlich zur Verurteilung führen. Derzeit gehen die Fälle von Geldautomatensprengungen in NRW zurück. Woran liegt das? Tatsächlich sind die Hochzeiten der Geldautomatensprengungen, zumindest temporär, in NRW erst mal vorbei: Das Phänomen kam im Jahr 2015 auf, mit anfangs 67 Taten. Die Hochphase war zwischen 2020 und 2023, mit jeweils über 150 Taten pro Jahr. Seitdem sind die Zahlen stark rückläufig. 2024 hatten wir dann nur noch 44 Taten. In diesem Jahr gab es bislang 25 Taten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? 2023 ist bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen einiges geändert worden: Es sind zusätzlich zu der Ermittlungskommission "Heat" in meinem Dezernat auch Ermittlungskommissionen in den sechs großen Kreispolizeibehörden des Landes eingerichtet worden. Statt 15 Ermittlern, die sich mit Geldautomatensprengungen beschäftigen, gibt es nun knapp 80 Ermittler. Dazu kommt die Zusammenarbeit mit den Niederlanden, die wunderbar funktioniert: Dort sitzen ja die Täter; ohne das Engagement und die Expertise der Polizei dort wäre der Einsatz gegen die Geldautomatensprenger so nicht zu bewerkstelligen. Also mehr Ermittler und bessere Vernetzung, und schon funktioniert es? Es gibt noch einen dritten Punkt: Man hat sich in NRW mit den Banken an einen Tisch gesetzt und eine Schwachstellenanalyse durchgeführt. Die Banken haben seitdem technisch unheimlich aufgerüstet: Fast jeder Geldautomat verfügt heute über Sicherungseinrichtungen – seien es Tintenpatronen in den Geldkassetten, die das Geld bei einer Explosion einfärben, Vernebelungsanlagen oder der klassische Nachtverschluss, bei dem man zwischen 23 und 5 Uhr einfach kein Geld mehr holen kann. Welche Bilanz ziehen Sie als Ermittler? Seit der verstärkten Zusammenarbeit mit den Niederländern im Jahr 2023 sind 72 Personen festgenommen worden. 259 Festnahmen gab es seit 2015. Dem gegenüber stehen etwa 1.000 Taten. Wie groß der Schaden durch die Geldautomatensprengungen genau ist, lässt sich schwer berechnen: Hier spielen ja auch Gebäudeschäden durch die Sprengungen eine Rolle, das ist ein langer Prozess, bis diese Schäden erst einmal berechnet sind. Beim entwendeten Bargeld liegen mir keine aktuellen Zahlen vor. Im November hat der Bundestag ein Gesetz zur härteren Bestrafung von Geldautomatensprengern verabschiedet. Dadurch soll auch die Telekommunikation der Verdächtigen leichter überwacht werden. Hilft das im Einsatz gegen die Täter? Das kann helfen, aber die Täter lernen natürlich dazu. Gleichwohl war die Überwachung der Telekommunikation von Personen, die wegen einer Sprengstoffexplosion verdächtigt werden, auch schon vorher möglich. Dieses neue Gesetz hilft nur in den Fällen weiter, bei denen die Verdächtigen in einer offenen Kommunikation sprechen und ihr Mobiltelefon mitführen. Das passiert in den meisten Fällen aber nicht. Und was sagen Sie zu härteren Strafen? Grundsätzlich begrüße ich die härtere Verurteilung von solchen Tätern sehr: Die Urteile sind bislang schon sehr mild ausgefallen. Dabei fanden diese Taten auch äußerst rücksichtslos statt: Die Täter sprengten auch Geldautomaten vor Wohnhäusern, bei denen sich direkt hinter dem Automaten ein Schlafzimmer befand. Man kann wirklich von Glück reden, dass bis heute keine Person bei so einem Vorfall ums Leben gekommen ist.
